Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 064c

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Mathematik von A bis Z (Teil 1)

Inhalt[editar]

INHALT
Vorwort
1. Kapitel: Wahre Kabbala
2. Kapitel: Das Zehnersystem
3. Kapitel: Nichtdekadische Ziffernsysteme
4. Kapitel: Symbole und Befehle
5. Kapitel: Kombinatorik
6. Kapitel: Permutation
7. Kapitel: Kombination im engeren Sinne
8. Kapitel: Variation
9. Kapitel: Erste Schritte in der Algebra
10. Kapitel: Algebraische Schreibweise
11. Kapitel: Algebraische Operationen
12. Kapitel: Gemeine Brüche
13. Kapitel: Gleichungen
14. Kapitel: Unbestimmte Gleichungen
15. Kapitel: Negative und Bruchpotenzen
16. Kapitel: Irrationalzahlen
17. Kapitel: Systembrüche
18. Kapitel: Funktionen (Algebraische Ableitung)
19. Kapitel: Pythngoräischer Lehrsatz
20. Kapitel: Winkel-Funktionen
21. Kapitel: Imaginäre Zahlen
22. Kapitel: Koordinaten
23. Kapitel: Analytische Geometrie
24. Kapitel: Problem der Quadratur
25. Kapitel: Das Differential und das Problem der Rektifikation
26. Kapitel: Beziehungen zwischen Differentialquotient und Integralbefehl
27. Kapitel: Drei Arten des Nichts
28. Kapitel: Binomischer Lehrsatz
29. Kapitel: Parabelquadratur des Archimedes
30. Kapitel: Reihen
31. Kapitel: Technik der Differentialrechnung
32. Kapitel: Maxima und Minima
33. Kapitel: Technik der Integralrechnung
34. Kapitel: Mittelwert und bestimmtes Integral
35. Kapitel: Weitere Quadratur-Probleme
36. Kapitel: Logarithmen
37. Kapitel: Interpolation, Extrapolation, Schluß

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Vorwort
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Die Mathematik ist eine Mausefalle. Wer einmal in dieser Falle gefangen sitzt, findet selten den Ausgang, der zurück in seinen vormathematischen Seelenzustand leitet. Es würde viel zu weit führen, den Grund dieser typischen Erscheinung bloßzulegen. Wir wollen uns daher nur mit der Feststellung ihrer Folgen befassen.
Die erste Folge der „Mausefallen-Eigenschaft“ der Mathematik ist ein großer Mangel an mathematischen Pädagogen. Nur sehr selten trifft mathematisches Können und leicht faßliche Darstellung zusammen. Dadurch aber ergibt sich als zweite Folge der „mathematische Minderwertigkeitskomplex“ breiter Schichten Gebildeter und Bildungsfreundlicher.
Man mißverstehe mich nicht. Ich will nicht angreifen, sondern das Gegenteil: ich befinde mich selbst imZustand der Verteidigung. Denn es ist durchaus nicht gewöhnlich, daß ein Laie sich anmaßt, die strengste aller Wissenschaften vorzutragen.
Da ich aber die eigenen Leiden und die Leiden meiner Mitschüler seit jeher beobachtete, reifte in mir der Plan, gleichsam mein Erlebnis der Mathematik noch in einem verhältnismäßig niedrigen Bildungsstadium aufzuzeichnen. Denn ich muß nach meiner eigenen Erkenntnis der „Mausefalle“ befürchten, daß ich in einigen Jahren selbst den Rückweg nicht mehr finden würde.
Es kam aber noch ein anderer triftiger Grund dazu, der mich zu meinem Unternehmen veranlaßte. Es ist handgreiflich, daß Mathematik, mathematische Methoden und die Bcgriffswclt der Mathematik zunehmend in alle Wissenschaften, ja sogar ins Alltagsleben eindringen. Und es ist ein durchaus unbefriedigender Zustand, beinahe ein Kulturskandal, daß sich der Leser einer halbwegs ernsten Abhandlung plötzlich einem Reich von Hieroglyphen gegen übersehen kann, das ihn erschreckt und vertreibt; oder daß er sich gar mit einem ironischen Achselzucken einer kleinen Schar Eingeweihter abspeisen lassen muß. Ich meine da durchaus nicht die Höhen der Relativitäts- oder Quantentheorie, sondern Dinge, die in jeder Zeitschrift für Volkswirtschaft oder Medizin stehen können. Von der Statistik ganz zu schweigen, die insbesondere in den angelsächsischen Ländern heute schon durch und durch mathematisiert ist. Zudem tritt die Mathematik noch viel versLeckter im täglichen Sprachgebrauch auf. Wir lesen in der Zeitung vom „integralen Faszismus“, von „Mittelwerten“, von „Durchschnittstemperaturen“, von „optimalen Leistungen“, von „kritischen Kurvenpunkten“, von „Kraftfeldern“ u. dgl.: Ausdrücke, die unmittelbar der Mathematik und der mathematischen Physik entlehnt sind.
Es ist nun durchaus unnötig, daß man solche Worte bloß als leeren Schall empfängt oder gar sich selbst dadurch minderwertig oder ungebildet erscheint. Denn der Inhalt solcher Worte ist ebenso großartig als sinnbildhaft und ebenso faßlich als erlernbar.
Eines natürlich ist Voraussetzung: Eine gewisse, ganz unerläßliche Mühe des Lernens. Als etwa um 300 v. Chr. G. der größte Geometriker Griechenlands, Euklid, in Alexandrien von seinem Köllig Ptolemaeus Philadelphus nach einer „bequemen“ Unterrichtsmethode der Mathematik gefragt wurde, erwiderte er kühn: „Zur Mathematik führt kein Königsweg.“ Jeder oberflächliche Kenner des Wesens dieser Wissenschaft, die sich, rein im Geistigen wurzelnd, Stufe über Stufe aufbaut, muß diesen Worten des großen Griechen beistimmen. Es folgt aus solcher Erkenntnis aber durchaus keine Notwendigkeit defaitistischer Verzweiflung, denn zwischen „Königswegen“ und „Himalajabesteigungen“ gibt es nach dem Gesotz des stetigen Übergangs, dein Prinzip der Kontinuität, unzählige Zwischenmöglichkeiten.
Verdienstvolle und ausgezeichnete Gelehrte wie Georg Scheffers, S. P.Thompson und Gerhard Kowalewski haben diese Situation voll erfaßt und versucht, solche Zwischenstufen zu bauen. Die Einführungswerk dieser drei großen Pädagogen sind eine dauernde Bereicherung der Kultur. Und nichts liegt mir ferner als die Vermessenheit, etwa mit der wunderbaren Plastik eines Scheffers, mit der berauschenden Präzision und Eleganz Kowalewskis oder mit dem göttlichen Humor und der Reichhaltigkeit Thompsons wetteifern zu wollen. Aber — und dieses „Aber“ ist entscheidend: Alle die drei angeführten Standardwerke setzen etwas voraus, was nicht vorausgesetzt werden kann, wenn man den mathematischen Minderwertigkeitskomplex restlos beseitigen will: Nämlich Gymnasialbildung oder zumindest eine Beherrschung der Elementarmathematik. Wie sehr aber oft gerade elementare Begriffe trotz aller Liebe zur Mathematik und trotz seinerzeit genossenem Mittelschulunterricht fehlen, habe ich am eigenen Leibe gefühlt, als ich mich weiterzubilden begann und den Kurs für höhere und statistische Mathematik besuchte, der im Österreichischen Bundesamt für Statistik gehalten wird. Dieses Erlebnis war auch die eigentliche Auslösungsursache meines — in voller und betonter Ehrfurcht vor wirklicher Wissenschaft unternommenen, besser gewagten — Versuchs. Denn ich lernte, daß es dreierlei Notwendigkeiten gibt, ein solches Buch entweder sich selbst zusammenzustellen oder es als Behelf von einem „Mitschüler“ geliefert zu bekommen. Erstens kann es Ziel eines „Beflissenen“, etwa eines Arztes, Volkswirtschaftlers, Kaufmanns, Industriellen, Tagesschriftslellers, Naturwissenschaftlers — aber auch eines Militärs, Beamten, Angestellten, Arbeiters, jungen Mädchens oder Schülers sein, die Begriffswelt der „unheimlichen“ Mathematik in einer anderen als der schulmäßigen Weise vom Einmaleins bis zum Integral kennenzulernen, um sich dabei das Allgemeinste anzueignen und dadurch eine gewisse innere Beruhigung zu erhalten. Es kann aber auch sein, daß der „Beflissene“ mehr will. Er wird dann nach meiner bescheidenen Einführung sich getrost der starken Führerhand eines Scheffers, Thompson oder Kowalcwski anvertrauen und über diese Brücke so weit vordringen als er nur will; bis er in der „Mausefalle“ sitzt und meine Wortverschwendung und Naivität gar nicht mehr begreift. Solche Leser werden mein besonderer Stolz sein, wenn sie mich auch nachträglich gründlich verachten sollten. Schließlich kann es aber auch vorkommen, daß Lernende sich meines Buches gleichsam als verfemten Hilfsmittels bedienen. Dafür bitte ich alle Pädagogen um Verzeihung und ersuche, mir keinen Ankläger zu senden, weil ich „die Jünglinge verderbe“. Ich erkläre diesen Jünglingen auch an dieser Stelle apodiktisch, daß sie bei Widersprüchen nicht mir, sondern dem berufenen Lehrer zu glauben haben.
Weil ich eben von Lehrern sprach: Es ist mir eine ebenso angenehme wie unabweisliche Pflicht, dem ausgezeichneten Mathematiker Dr. Walther Neugebauer zu danken, der mich als Leiter des schon erwähnten Kurses in das eigentliche Zentrum der Mathematik geführt hat und mir die wahre Größe dieser Wissenschaft erst voll zum Bewußtsein brachte. Der Dichter Novalis hat gesagt: „Das Leben der Götter ist Mathematik. Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker sein. Reine Mathematik ist Religion. Die Mathematiker sind die einzig Glücklichen. Der echte Mathematiker ist Enthusiast aus sich selbst. Ohne Enthusiasmus keine Mathematik.“
Sollte es mir gelungen sein, dieses Geistes einen Hauch meinen Lesern zu vermitteln, dann wäre ich sehr glücklich. Denn leider erzeugt der „mathematische Minderwertigkeitskomplex“ wie jeder solche Komplex Gefühle des Hasses und Ressentiments. Die herrliche griechische Mathematikerin Hypatia, die einzige Frau, der in der Geschichte der Mathematik Rang zuerkannt wird, ist sicher nicht allein aus religiösem Fanatismus vom Pöbel gesteinigt worden; und auch dem großen Leibniz habe ich in den Augen einiger konsequenter und unerbittlicher Antimathematiker dadurch keinen Dienst erwiesen, daß ich den Mittelpunkt seines Genies, die Mathematik, herauszustellen und nach dem lauten Zeugnis wirklich Berufener mit Erfolg zu gestalten mich erkühnte.
Diesen Abscheu vor der reinsten, fast möchte ich sagen heiligsten aller Wissenschaften soll eben dieses Buch bekämpfen helfen. Oberflächliche Geistesnäscher halten Mathematik für den Gipfel des Materialismus. Diesen sei gesagt, daß nicht nur für indische, babylonische und ägyptische Priester Religion und Mathematik in Nachbarschaft lebten und wirkten. Auch Pythagoras, Piaton, Cusanus, Pascal, Newton, Leibniz — um nur einige Namen zu nennen — schöpften eben aus der Mathematik die Erkenntnis, daß die „sicherste“ aller Wissenschaften, an ihren Grenzen verschwimmend, wahren Glauben und wahre Demut vor dem Göttlichen erweckt.



1[editar]

Erstes Kapitel
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Wahre Kabbala
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Im Wartezimmer des Arztes sitzt ein Patient. Er ahnt, daß er nicht so bald vorgelassen werden wird. Daher beschließt er, sich die Zeit mit Lektüre zu vertreiben. Auf dein Tisch liegen allerlei Prospekte von Heilanstalten und von Darnpferlinien. Besonders angelockt wird er durch ein Bild, das gleichsam die ganze Pracht südlicher Meere und tropischer Städte offenbart. Er schlägt das Büchlein neugierig auf und ist sehr enttäuscht. Denn er versteht kaum ein Wort. Der Prospekt, der allem Anschein nach eine Dampferlinie nach Südamerika anpreist, ist — der Patient weiß nicht einmal das genau — in portugiesischer Sprache verfaßt. Gleichwohl gibt er das Studium nicht auf. Die Bilder der Kajüten, der Speisesäle, der Zwischenhäfen sind ebenso schön wie verständlich. Aber noch etwas anderes versteht der Leser, ohne einer Ubersetzung zu bedürfen: die langen Ziffernkolonnen, Ziffernzusammenstellungen, eingestreuten Berechnungen, Angaben von Ankunftsund Abfahrtszeiten.
Ich bin darauf gefaßt, daß Sie mein Beispiel für kindisch, für selbstverständlich, wenn nicht gar für läppisch ansehen. Wer auch hat je daran gezweifelt, daß heute sich fast alle Kulturvölker derselben Ziffernschrift bedienen? Was soll daran verwunderlich oder gar problematisch sein? Schade also um den Einleitungssatz. Die Ziffer 3 bedeutet in einem portugiesischen Text dasselbe wie die Ziffer 3 in einem deutschen oder englischen Text. Und die Berechnung 5214 × 7 = 36.198 ist ebenfalls unabhängig von dem Land, in dem sie angestellt wird. Und damit Schluß!
Ich gehe gerne und willig zu, daß sich gegen diese erzürnte Beweisführung und gegen ihr Ergebnis wenig oder nichts einwenden läßt. Ich protestiere ausschließlich dagegen, daß diese Beweisführung jede weitere Erörterung abschneiden will. Ja, ich behaupte sogar, daß uns gerade eine nähere Durchleuchtung eben unseres läppischen Beispieles sehr geradlinig in innerste Rätsel der Mathematik hineinführen und uns die Kenntnis einer großen Anzahl wichtigster Grundbegriffe vermitteln wird.
Mein Gegner hat nämlich einiges übersehen. Vor allem ist es nur vorstellungsmäßig dasselbe, wenn ein Deutscher oder wenn ein Portugiese den Prospekt liest und sich dabei mit den Ziffern beschäftigt. Denn der Portugiese gebraucht andere Wörter für die Ziffern als der Deutsche. Und ein Engländer, ein Franzose, ein Schwede wieder andere. Diese Aussprache der Ziffern greift bis in die Geheimnisse des Ziffernsystems. So etwa sagen wir für 24 vier-und-zwanzig, der Engländer dagegen sagt twenty-four, also zwanzig-vier. Der Franzose sagt für achtzig nicht octante, was eine logische Fortsetzung von trente, quarante usw. bedeutete, sondern überrascht uns mit der multiplikativen Bildung quatre-vingt, was sich etwa mit „viermalzwanzig“ übersetzen ließe.
Bevor wir aber in diese Geheimnisse näher hineinleuchten, möchte ich noch auf die große Gefahr hinweisen, die das Sprechen von Zifferngruppen mit sich führen kann. Es ist z. B. ein beliebter Aufsitzer, einen Nebenmenschen zur schriftlichen Festlegung der Zahl Elftausendelfhundertelf zu veranlassen. Jeder, der diese Zahl hört, schreibt beherzt 11.111 hin, was bekanntlich Elftausendeinhundertelf zu lesen ist. Elftausendelfhundertelf aber müßte man richtig 12.111 schreiben, da es sich ja dabei um die Summe von 11.000, von 1100 und von 11 handelt.
Wir stellen also als erstes Ergebnis fest, daß unsere zugegeben internationale Ziffernschrift mit unserer anderen, der Buchstabenschrift, nur sehr mittelbar zu sammenhängt und vor allem ganz anderen Grundsätzen untersteht. Die Ziffernschrift ist nämlich an sich eine reine Begriffsschrift, während die Buchstaben von vornherein nicht Symbole für Begriffe, sondern Symbole für Laute sind, aus denen sich erst später, in den Wörtern, Symbole für Begriffe bilden. Der Begriff 3 erfordert in Ziffernschrift eben nur ein einziges Zeichen. In Buchstabenschrift gewinnt man die Drei iin Deutschen durch eine ganz bestimmte Zusammensetzung der Buchstaben d,e, i und r. Und im französischen Trois sogar erst durch Kombination von fünf Buchstaben.
Das alles ist jedoch erst der Beginn unserer Erörterung. Wir stehen am Fuß des Zahlenberges, den wir besteigen wollen. Wir haben nämlich bisher von Ziffern und Zahlen gesprochen, durchaus aber noch nicht von dem wunderbaren Gebilde, das man als Ziffernsystem bezeichnet und das der größte Stolz des menschlichen Geistes sein sollte.
Mein Widersacher wird mir jetzt wieder einen naheliegenden Einwand machen. Er wird nämlich sagen: „Wenn du mit deinem Ziffernsystem das meinst, was jedes Kind in den ersten Klassen der Volksschule beherrscht, also die sogenannte dekadische Schreibweise oder das Zehnersystem, dann laß uns gefälligst in Ruhe. Wir kennen diese Schreibweise, wenden sie täglich an und sind durchaus nicht gesonnen, dein Schreibbedürfnis durch unser Interesse zu unterstützen. Solltest du aber mit Zahlentheorie, mit Forschungen von Gauß, Dirichlet, Dedekind, Kronecker und anderen großen Gelehrten anrücken wollen, dann wisse, daß wir das Buch schon hier zuschlagen und dem Buchhändler zurückgeben werden. Du hast nämlich in diesem Fall dein Versprechen der Vorausselzungslosigkeit und der Beschränkung auf das wirklich Notwendige nicht erfüllt.“
„Wieder vortrefflich, lieber Gegner“, muß ich darauf antworten. „Du hast aber nur nicht daran gedacht, daß meine Erörterung der Geheimnisse des Ziffern systems durchaus nicht Selbstzweck ist. Es fällt mir nicht im entferntesten ein, wirklich Zahlentheorie zu dozieren. Es fällt mir aber auch nicht ein, bloß zu erklären, warum man Zweitausendfünfhundertvierzehn eben 2514 schreibt. Oder besser, ich will es bei solchen Erklärungen nicht bewenden lassen. Eben weil ich nichts voraussetzen darf, muß ich an das allgemein Bekannte anknüpfen, um schon im ersten Kapitel sehr hohe Begriffe der Mathematik faßbar zu machen. Aber ich will jetzt unser Zwiegespräch unterbrechen und die Untersuchung zusammenhängend fortsetzen.“
Wir wollen einen der größten Männer zitieren, den die Geschichte des Geistes hervorgebracht hat: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646—1716), den Panhistor, den Alleswisser. Leibniz war bekanntlich auch einer der ganz großen Mathematiker und der eigentliche Bahnbrecher der Unendlichkeitsanalysis, der sogenannten Infinitesimalrechnung oder „höheren Mathematik“. Leibniz also hat seine allgemeine Lehre von den Symbolen (von den „bedeutungsvollen Zeichen“, könnte man populär sagen) eine „cabbala vera", eine wahre Kabbala genannt. Was Kabbala, kabbalistisch usw. bedeutet, dürfte bekannt sein. Magie, Zauber, Beschwörungsformeln, mystische Kräfte, enLfesselt durch Worte und Symbole, liegen in diesem Begriftskreis der Kabbala. Nun sind aber die mathematischen Zeichen als sehr maßgebende Bestandteile in jenem Leibnizschen Symbol-Kalkül, in jener allgemeinen Lehre von den Symbolen, enthalten.
Ich bin mir bewußt, daß diese erste Andeutung Leibnizscher Geistesflüge nicht sofort verständlich sein kann. Wir wollen also den Ausspruch Leibnizens für unsere Zwecke möglichst vereinfachen und festhalten, daß in der mathematischen Schreibweise selbsL eine Art von Zauberkunst, eine „wahre Kabbala“ steckt. Wir können uns aber den Gedanken noch durch einen kleinen Ausflug in die Geschichte der Mathematik, besser, in die Geschichte des Ziffernrechnens verdeutlichen. Mein Gegner hat unrecht gehabt, wenn er über unser übliches Zehnersystem so verächtlich sprach. Es ist das ungeheuerste und gar nicht ausdrückbare Verdienst dieses Systems, daß es für einen Elementarschüler erlernbar ist. Geschichtlich sieht die Angelegenheit weit anders aus. Was heute Schulaufgabe des Elementarschülers ist, war vor wenigen Jahrtausenden Preisrätsel für allergrößte Mathematiker. Denn es fehlte damals eben die gleichsam selbsttätige Maschine des Ziffernsystems, die wahre Kabbala der richtigen Schreibweise.
Gestatten Sie mir hier vorerst eine kleine Abschweifung. Ich sprach von der richtigen Schreibweise. Das war auf das System als Ganzes gemeint. Unterhalb dieser schon höheren Bedeutung des Wortes „Schreibweise" möchte ich darauf aufmerksam inachen, daß auch der Kenner aller mathematischen Zauberzeichen nur dann leicht und sicher mit diesen Zeichen umgehen wird, wenn er zwei scheinbar banale Regeln befolgt. Zuerst soll er so nett und übersichtlich wie möglich schreiben. Nicht herumstreichen, nicht Verschiedenes durcheinandermengen, nicht irgendwohin an den Rand oder in Zwischenräume Nebenrechnungen hinkritzeln. Zweitens aber soll der Anfänger — und dieses Anfängerstadium reicht sehr, sehr hoch hinauf in unsere Wissenschaft — nie aus Ungeduld Zwischenstufen überspringen und Zwischenoperationen im Kopf durchführen. Wir haben uns auf die „Kabbala“ festgelegt und die Zauberzeichen wollen aufgeschrieben sein. Wenn aber jemand besonderen Wert darauf legt, Rechnungen jeder Höhenstufe im Kopf auszuführen, um seine Vorstellungskraft zu üben und zu prüfen, dann möge er, etwa vor dem Einschlafen, Berechnungen anstellen, die Ergebnisse notieren und diese dann am folgenden Tag sauber und Schritt für Schritt mittels der wahren Kabbala nachprüfen. Es ist dies ein fast sportlicher Ratschlag. Der Fechtlehrer, der Tennistrainer, der Boxlehrer läßt den Schüler zuerst jeden Schlag und Hieb beinahe zeitlupenmäßig in größter Präzision Phase für Phase durchführen. Der persönliche Stil und das individuelle Tempo entwickelt sich von selbst als Verschleifung der Grundformen. Leider auch die Flüchtigkeit und die Schlamperei.
Wir wollen aber wieder zum Hauptgegenstand zurückleiten. Ich erwähnte, daß das heute so selbstverständliche Ziffernrechnen durchaus nicht stets eine Selbstverständlichkeit war. Erst im zwölften Jahrhundert nach Christi Geburt wurde die wahre Kabbala Gemeingut des Abendlandes. Wiederuni sehr vereinfachend sei erwähnt, daß damals zwei Schulen des Rechnens um den Rang stritten. Die Schule der Abazisten und die Schule der Algorithmiker. Abacus ist das uralte, schon im Altertum gebräuchliche Rechenbrett. Man stelle sich eine Tafel vor, die durch senkrechte Linien geteilt ist. Jede der Kolonnen bedeutet eine sogenannte Stufenzahl, also Einer, Zehner, Hunderter, Tausender usw. Um nun mit dem „Abacus" zu rechnen, legt man in jede Kolonne die entsprechende Anzahl von Marken oder Täfelchen. Wir hätten etwa 504.723 und 609.802 zusammenzuzählen, zu addieren.
Wie man sieht, ergibt sich durch Zusammenzählung der weißen Täfelchen (erste Zahl) und der schwarzen Täfelchen (zweite Zahl) das richtige Resultat 1.114.525. Eine Null wird in diesem Abacusrechnen noch nicht verwendet. Außerdem mußten wir berücksichtigen, daß 15 Hunderter gleich einem Tausender und 5 Hundertern, daß 14 Tausender gleich einem Zehntausender und 4 Tausendern und daß 11 Hundcrttausender gleich einer Million und einem Hundcrttausender sind. Näher soll auf die Spielarten der „Abazisten-Kunst“, des Rechnens mit dem Rechenbrett, nicht eingegangen werden. Man wird aber unschwer erkennen, daß die „wahre Kabbala“ der anderen Schule, der Algorithmiker, den Sieg erringen mußte.
Fig. 1


Nun sind wir an einem Punkt angelangt, der unsere stärkste Aufmerksamkeit erregen soll. Vorweg noch eine Worterklärung. Algorithmus (Algorithmiker) ist eine Verballhornung eines Namens. Des Namens Muhammcd ibn Musa Alcliwarizmi. Dieser ostarabische Mathematiker Alcliwarizmi stammte aus Ivhorassan und lebte später in Bagdad. Zwischen 800 und 825 n. Chr. Geb. schrieb er unter anderem ein grundlegendes Werk über das Rechnen mit den indischen (den sogenannten arabischen) Zahlzeichen oder Ziffern. Und zwar unter Verwendung des Stellenwertsystems. Er kannte auch schon die Null und schrieb sie als kleinen Kreis. Auf verschiedenen Wegen, durch die Kreuzzüge, aber auch durch die arabischen Hochschulen in Toledo, Sevilla und Granada, gelangten die arabischen Werke in lateinischen Übersetzungen zur Kenntnis der abendländischen Gelehrten und unter diesen Werken auch das Buch Alchwarizmis über die indischen Ziffern.
Wir wiederholen: Die Algorithmiker führten unter dem Namen „Algorithmus" das indische Ziffernsystem mit Stellenwertberücksichtigung im Abendland ein. Damit war der erste Schritt zur „wahren Kabbala" getan. Denn nicht mehr unbeholfene Rechenbretter lieferten die Ergebnisse von Rechenoperationen, sondern eine recht geheimnisvolle Zauberschrift gestattete es, die verwickeltsten und größten Rechnungen mit unfehlbarer Sicherheit durchzuführen. Für den ganzen großen Zauber war nichts anderes erforderlich als zehn Zeichen von 0 bis 9, ein Stück Papier, eine Feder und die Kenntnis des kleinen Einmaleins.
Es ist heute kaum mehr möglich, sich in die Stimmung von Rechnern zurückzuversetzen, die etwa 85.213 mit 9621 nicht mehr auf dem Rechenbrett, sondern auf einem Fetzchen Papier zu multiplizieren hatten. Magische Schauer der Beglückung müssen damals diese Rechner überkommen haben. Und wie so oft schien ihnen wahrscheinlich die oberste Spitze des Turmes von Babel erklommen, von der man unmittelbar den Himmel berühren kann.
Wir sind aber gezwungen, aus dieser geschichtlichen Rückversetzung wieder in kühlere Bereiche zurückzukehren. Es ist uns nämlich erst zur Not klar, daß das Wort Algorithmus soviel wie schriftliches Rechenverfahren auf Grund einer bestimmten Zeichenschrift bedeutet. Und dies noch außerdem innerhalb eines geschlossenen Systems, das gleichsam für uns einen Teil der Denkarbeit selbsttätig leistet und uns dabei Gebiete zugänglich macht, in die unsere Vorstellungskraft überhaupt nicht reicht oder wo sich diese Vorstellungskraft zumindest sehr leicht verirren kann. Wir müssen also die Ursachen der Zauberkraft dieses speziellen Algorithmus, genannt dekadisches oder Zehnersystem, genauer untersuchen.
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