Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 134c

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Geschichte der Mathematik (Teil 34)


Wir haben schon einige Male das Wort „Funktion“ ausgesprochen. Dieser Begriff nun war die dritte Aufgabe, auf die sich die algorithmische Bemühung Leibnizens in seiner Pariser Zeit in vollster Allgemeinheit richtete. Der verdienstvolle Leibniz-Forscher Dietrich Mahnke sagt in seiner Arbeit „Zur Keimesgeschichte der Leibnizschen Differentialrechnung“, daß Leibniz schon im Jahre 1673 so weit gelangt war, daß er in seiner großen Abhandlung: „Methodus tangentium inversa seu de functionibus“ die Gleichwertigkeit der inversen Tangentenprobleme mit Quadraturen und Rektifikationen erkannte und sie gemeinsam, als infinitesimale Summationen, den gewöhnlichen Tangentenproblemen gegenüberstellte, die mit infinitesimalen Differenzenbildungen gleichbedeutend sind; hier führte er auch schon den Ausdruck „functionem faciens“ oder verkürzt „functio“ für gesetzmaßig veranderliche Größen ein, z. B. für Tangenten, Normalen, Subtangenten und andere Strecken, die an einer Kurve eine „Funktion“ oder „Verrichtung“ ausüben. Z. B. sie berühren, auf ihr senkrecht stehen usw., und nun, wahrend sie mit der Kurve fortschreiten, in variabler Größenrelation zur Abszisse oder Ordinate der Kurve stehen . . . So weit Mahnke. Wir wollen nun in möglichst gemeinverständlicher Art diese aufschlußreiche Stelle erörtern.
Leibniz hat also bereits 1673 gewußt, daß sich der Unendlichkeitskalkül aus zwei voneinander getrennten Problemgruppen zusammensetzen müsse. Aus der „umgekehrten“ und der „gewöhnlichen“ Tangentenaufgabe. Die inverse Tangentenaufgabe sei gleichwertig mit Quadraturen und Rektifikationen, die normale mit Differenzenbildungen unendlich kleiner Größen. Was heißt das? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir an die Entdeckung, besser die Erfindung der Koordinaten erinnern. Innerhalb eines solchen Bezugssystems drückt sich die Kurve durch eine Gleichung aus, und es kann nun in zweierlei Art gefragt werden, wenn man, wie es Roberval schon tat, sich die Kurve aus der Tangente entstanden denkt. Man kann nämlich einmal fragen, welchem durchgängigen Richtungsgesetz eine Tangente entsprechen muß, damit sie an jeder Stelle, gleichsam in jedem Punkt der Kurve, also bei jedem willkürlichen Wert der Abszisse, bei jedem x, aus einer Formel eruierbar ist, die allgemein für jeden Punkt der Kurve gilt. Das ist das normale Tangentenproblem, das, wie Leibniz sagt, arithmetisch auf Bildung infinitesimaler Differenzen hinausläuft, da wir ja, um die Formel zu gewinnen, einen Punkt der Kurve mit dem vorhergehenden oder nachfolgenden Punkt differentiell vergleichen müssen. Setzen wir weiters, und das ist unerlaßliche Vorbedingung, den stetigen und gesetzmäßigen Verlauf der Kurve voraus, dann muß der Vergleich benachbarter Punkte das Gesetz der Richtungsänderung als das Gesetz der an der Kurve gleichsam abrollenden Tangente offenbaren. Wenn wir weiters, und das ist jetzt das „inverse“ oder umgekehrte Tangentenproblem, uns vorstellen, wir wüßten bereits diese Formel, nach der die jeweilige Tangente bzw. deren Neigungsänderung gewonnen werden kann, dann wird es uns durch ein geeignetes Rechnungsverfahren möglich sein, aus der Tangentenformel wieder die uns noch unbekannte Kurvengleichung zu gewinnen, die wir heute als primitive oder Stammfunktion bezeichnen. Daß diese Rechnungsoperation allerdings gleichwertig ist mit Quadratur und Kurvenlangenmessung oder Rektifikation der Kurve, war ein Genieblitz Leibnizens, der aus der Problemstellung allein noch nicht hervorgeht.
Nun hat aber Leibniz trotz dieser deutlichen Erkenntnisse noch mehrere Jahre gebraucht, um die Idee in die Tat umzusetzen. Die Tat hieß aber auch hier wieder nichts andres als Erfindung oder Aufstellung eines geeigneten Algorithmus oder zumindest einer entsprechenden Notation. Dabei erhielt er noch eine Erleuchtung durch eine weitere Entdeckung. Er war nämlich infolge seiner mathematischen Fähigkeiten von den Freunden des bereits verstorbenen Pascal gebeten worden, den Nachlaß dieses Genies zu sichten und herauszugeben. Hierbei fiel ihm eine Zeichnung in die Hand, die das Verhalten der Sinusfunktion im ersten Quadranten darstellte. Diese Zeichnung verallgemeinerte sich aber im entdeckungsbereiten Geist Leibnizens zur Erkenntnis des sogenannten „charakteristischen Dreiecks“, dessen Abbildung wir in der Figur wiedergeben.
Fig. 7

Der Gedankengang Leibnizens ist hierbei folgender:
eine Tangente, die im Punkt A die Kurve berührt, steht in den Punkten B und C naturgemäß schon ein beträchtliches Stück von der Kurve ab. Wenn wir nun B und C als Endpunkte der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks betrachten, dessen Katheten zu den Koordinatenachsen parallel sind, dann ist dieses Dreieck einem andren Dreieck ähnlich, das aus der Tangentennormale, einem Stück der Abszissenachse und einer Parallelen zur Ordinatenachse gebildet wird. In unserer Fig. 7 ist dieses zweite Dreieck, dessen Scheitel im Punkt A liegt, durch dickere Linien hervorgehoben. Also, kurz gesagt, das schraffierte Dreieck ist ahnlich dem dickgeränderten Dreieck. Nun stellen wir uns weiter vor, daß sich die Punkte B und C in der Richtung der Pfeile stets mehr auf A zu bewegten. Dadurch wird das geschraffte Dreieck kleiner und kleiner werden, ohne jedoch seine Gestalt zu andern. Das heißt, es wird stets dem dickgeranderten Dreieck ahnlich bleiben. Diese Schrumpfung aber hat keine Grenzen. Man kann sie durch Zusammenrücken von B und C so weit treiben, wie man will, und es ist der Augenblick nicht anzugeben, wann es dadurch den Blicken gleichsam entschwindet, daß B, A und C in einen einzigen Punkt zusammenfallen. Hat jetzt, so fragt sich Leibniz, das geschraffte Dreieck zu existieren aufgehört? Man kann diese Frage mit Ja beantworten, da ein Dreieck begrifflich nicht mehr bestehen kann, wenn die Eckpunkte übereinanderliegen, also keine Möglichkeit mehr besteht, die Dreieckseiten zu ziehen. Man kann sich aber wieder nicht recht vorstellen, daß dieses Verschwinden mit einem Schlag eintritt, da ja Stetigkeit (Kontinuierlichkeit) der Linie vorausgesetzt ist. Ware es da, von einem andern Gesichtswinkel aus, nicht logischer, anzunehmen, daß das Dreieck zwar unseren Blicken irgendwann entschwunden ist, daß seine Eigenschaften aber erhalten geblieben sind? Wir wissen ja seit den alten Griechen, speziell seit Euklid, daß Proportionen mit der absoluten Größe nichts zu tun haben. Nun hat aber das geschraffte Dreieck stets die Proportionen des dickgeranderten gehabt, so weit wir es auch schrumpfen ließen, da es mit ihm ahnlich war. Wir dürfen also - und dies die Krönung der Leibnizschen Erkenntnis _ annehmen, daß zwar das geschraffte Dreieck verschwunden ist, seine Proportionen jedoch im dickgeränderten „charakteristischen“ Dreieck weiter, riesengroß und meßbar, vor unseren Augen stehen bleiben. Man kann also jetzt das Gesetz der Tangente für jeden Punkt durch ein Seitenverhältnis des charakteristischen Dreiecks oder, was dasselbe ist, durch eine Winkelfunktion des Neigungswinkels der Tangente ausdrücken. Wie aber findet man diese Funktion allgemein, wie vor allem bringt man diese Funktion mit der Kurvengleichung in Beziehung? Leibniz, das wissen wir schon, beschreitet hierzu den Weg der Differenzenrechnung, die er durch Grenzübergang zur Differentialrechnung ausbildet. Und zwar genügt als Fundament der ganzen Differentialrechnung eine einzige Formel, die als sogenannte „Leibniz-Formel“ in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen ist.
Fig. 8

Wenn wir uns nämlich vorstellen, daß das x, also der Abszissenwert, gewachsen ist, dann wird auch das y, also die Ordinate, irgendwie gewachsen sein, falls es sich um eine steigende Kurve handelt. Bei einer fallenden müßte die Überlegung ein wenig anders vorgenommen werden, es würde sich aber im Wesen an der Untersuchung nichts ändern. Also wir stellten fest, daß, wenn wir das um eine noch vorläufig endliche Zuwachsgröße vermehren, auch das um eine Größe gewachsen ist. Hierzu zeichnen wir uns wieder eine Figur, die mit dem charakteristischen Dreieck eng verwandt ist. Wir ersehen aus ihr, daß wir hier bei endlichem Zuwachs bloß den Neigungswinkel der durch P und R gezogenen Sekante als Winkel gewinnen können, wenn wir etwa die Tangensfunktion aus dem Verhältnis von zu bilden.
Nun ist aber nichts andres als der Funktionswert von , vermindert um den Funktionswert von , da ja die Funktion sich nach Zuwachs in verändert.
Wir dürfen also sagen, der Tangens des Winkels oder, was dasselbe ist,


sei gleich


oder: die Differenz aus der um den Zuwachs vermehrten Funktion und der gegebenen Funktion, dividiert durch den Zuwachs von , kennzeichne die trigonometrische Tangente des Neigungswinkels der Sekante, die durch P und R geht.
Da wir aber nicht die Sekante, sondern die Tangente im Punkte P kennenlernen wollen, müssen wir einen unendlich kleinen Zuwachs annehmen. Wir suchen also jetzt nicht mehr den Winkel , sondern den Winkel , den wir aber, genau wie bei den endlichen Differenzen, gewinnen können. Denn auch in diesem Falle kann der Winkel nichts andres sein als der durch die Tangensfunktion ausgedrückte Neigungswinkel der Tangente mit der als durchwegs positiv betrachteten Abszissenachse.
Der Tangens von aber ist , und ergibt sich, rein algorithmisch, aus den beiden Gleichungen
und
mit
,
also als
und



[Die Winkelfunktion Tangens (tan) wird in alter Schreibweise tg geschrieben.]
Wir haben ein wenig vorgegriffen, da Leibniz selbst in seiner Bezeichnungsweise nicht sofort so schrieb, wie wir es taten. Aber im Wesen haben wir den Tatbestand der ersten Entdeckung richtig wiedergegeben, wenn wir uns auch einer etwas späteren Schreibweise bedienten. Wie gesagt, war mit dieser Leibniz-Formel der Algorithmus der „gewöhnlichen“ Tangentenaufgabe geschaffen, und es waren bloß mehr die Einzelregeln zu gewinnen, diese Formel richtig zu handhaben. Wir werden dies an einem einfachen Beispiel erläutern. Gegeben wäre etwa die Parabel und gesucht das Gesetz der Tangente oder der „Differentialquotient“ dieser Parabel für jeden Punkt.
Nach der Leibniz-Formel ist
und nach der Klammerauflösung


Nun muß der sogenannte Grenzübergang erfolgen, d. h. die Überlegung, welche der unendlich kleinen Größen für die Rechnung von Belang sind. Denn den obigen Ausdruck hätten wir ebensogut auch als Differenzenquotienten bei endlichen Zuwächsen erhalten, und wir gewännen dabei als
schließlich als Tangenswert der Sekanten.
Wir können jetzt diesen Grenzübergang in zweierlei Art bewerkstelligen. Entweder rechnen wir überhaupt zuerst mit dem Differenzenquotienten und erklären dann, daß bei einem Schwinden des zu , also zu einem unendlich kleinen Zuwachs, einfach zu wird, da Addition einer unendlich kleinen Größe eine endliche Größe unverändert läßt.
Somit ist .
Oder aber wir rechnen von Anfang an mit Differentialen und erklären in der Formel
das als „Kleinheit zweiter Ordnung“, die sich zu so verhält wie zu .
Wir dürfen also diese „Kleinheit zweiter Ordnung“ einfach weglassen und gewinnen aus
jetzt , also wieder dieselben als Differentialquotienten von .
Leibniz hat diese Kleinheit höherer Ordnung einmal dadurch plastisch zu machen versucht, daß er sagte, das Firmament verhielte sich zur Erde wie die Erde zu einem Staubkorn und die Erde wieder verhielte sich zum Staubkorn wie das Staubkorn zu einem magnetischen Teilchen, das durch Glas dringt. (Wir würden heute das „magnetische Teilchen“, das Leibniz prophetisch erwähnt, als Elektron bezeichnen. Das aber nur nebenbei.) Leibniz meint, daß das Firmament etwa das sei. Das wäre dann die Erde, das das Staubkorn und das das „magnetische Teilchen“.
Sicherlich genügt es, wenn man neben dem Firmament (Weltall) noch das Nichts Erde berücksichtigt. Das Staubkorn oder gar das „magnetische Teilchen“ zu berücksichtigen, ware um so sinnloser, als wir ja schon die Erde, also das , relativ zum Weltall als unendlich klein annehmen.
Wir müssen aber jetzt die Erörterung des speziellen Algorithmus abbrechen. Wir stellen also nur fest, daß Leibniz nicht bloß in kurzer Zeit die Differentiation der einfacheren Funktionen und ihrer Verknüpfung beherrschte, sondern sogar noch in Paris bereits höhere Differentialquotienten, also Differentialquotienten von Differentialquotienten, berechnete, die physikalisch sehr aufschlußreich sind, da der erste Differentialquotient die Geschwindigkeit und der zweite die Geschwindigkeitsveränderung oder Beschleunigung ausdrückt. Die höheren Differentialquotienten sind aber auch als Kriterium für Maxima und Minima, nämlich für die Frage, ob der berechnete Wert ein Maximum oder Minimum darstellt, unentbehrlich.
Für die Entdeckungsgeschichte ist es ein Glück, daß Leibniz die Gewohnheit besaß, wichtige Stationen seiner Forschungen zu notieren und diese Notizblatter mit genauem Datum zu versehen. Daher wissen wir, daß er noch in Paris am 29. Oktober 1675 zu vollster und allgemeinster Bewußtheit über seinen Kalkül gelangt war.
Er schrieb nämlich unter diesem Datum:
„Es wird nützlich sein, statt der Gesamtheiten des Oavalieri, also statt Summe aller von nun an zu schreiben. Hier zeigt sich endlich die neue Gattung des Calcüls, die neue Rechenoperation, die der Addition und Multiplikation entspricht.
Ist dagegen gegeben, so bietet sich sogleich das zweite auflösende Calcül, das aus wieder macht. Wie nämlich das Zeichen die Dimension vermehrt, so vermindert sie das . Das Zeichen aber bedeutet eine Summe, eine Differenz.“
Mit dieser Erkenntnis war der Algorithmus der Infinitesimalanalysis aufgestellt, der sich bald die Welt erobern sollte und der auch bis heute im Besitz der Weltherrschaft geblieben ist. Auf welchem Gebiet Leibniz am genialsten war, ist sehr schwer zu entscheiden. Daß er aber ein Spezialgenie der richtigen und adäquaten Schreibweise, der mathematischen Notation war, unterliegt nicht dem allergeringsten Zweifel. Über der Einführung von neuen Begriffen und neuen Zeichen liegt ein tiefes, wahrscheinlich unergründliches Geheimnis. Nur wenige dieser Begriffe oder Zeichen sind so „richtig“, so überdeckend, daß sie in allgemeinen Gebrauch kommen. Wenn sie aber einmal im Gebrauch sind, dann beweisen sie ein Beharrungsvermögen, als ob es sich um naturgewordene Gegenstände und nicht um bloße Konventionen handelte. Ein kleiner Teil des Geheimnisses ist vielleicht durchschaubar, soweit es sich um neue „Zeichen“ handelt. Sie müssen sich nämlich irgendwie in die Tradition einfügen, müssen gleichsam gestaltlich und rein ästhetisch in den mathematischen Kosmos passen. Man kann einem lebendig gewordenen Organismus, wie es dieser „mathematische Gegenstand“ ist, nicht einfach willkürlich irgendwelche künstlichen Organe aufpfropfen oder gar verlangen, daß irgendein „Befehl“ bloß durch ein Pünktchen erschöpfend gegeben sei, wenn man zur Ausführung schwierige und noch ungewohnte Operationen durchführen muß. Ein Befehl wie ist sehr durchsichtig. Er erinnert sofort an und zeigt durch die Hochstellung der Drei an, daß gleichsam etwas „Höheres“ gemeint ist als oder . Es ist eben damit gemeint. Wie nun sollte sich ein Mensch des siebzehnten Jahrhunderts vorstellen, daß Newtons eine so komplizierte Angelegenheit, wie die Bildung des Differentialquotienten, bedeute? Und gar erst das Integral über . Selbst in den heutigen Tages mit allem Raffinement gedruckten Büchern, in denen Newtons Schreibweise als historisches Kuriosum dargestellt ist, läßt der Punkt oberhalb des x oft aus, erscheint dem nicht vollständig Eingeweihten wie eine Druck-Unregelmaßigkeit, ein Papierfehler u. dgl. Aber es ist da noch viel mehr zu bemängeln. Die Struktur der Rechnung tritt bei Newton überhaupt nicht hervor, es entsteht nicht der geringste Einblick in das Zahnräderwerk des Algorithmus. Bei Leibniz dagegen überall.
Es sei uns deshalb gestattet, diese Notation in einer etwas vereinfachenden und vom strengen Standpunkte anfechtbaren Art zu beleuchten. Was wir dabei sündigen, werden wir später sofort wieder korrigieren. Aber - und dieses „Aber“ ist sehr entscheidend - wir behaupten, daß eben die populäre Vorstellung des Unendlichkleinen jener Anschauungsrest ist, der das rein Begriffliche, an sich jedoch Undurchschaubare des Algorithmus, zu sehr leichter Verständlichkeit hebt. Wir sprechen also nicht mehr bloß vom Verhaltnis der unendlichkleinen Größen, sondern vergrößern sie durch ein Zaubermikroskop einzeln und benennen sie „Differentiale“.
Für uns ist eine Länge, ebenfalls eine solche, und das Integralzeichen, das nichts andres ist als ein in die Länge gezogenes, zusammengedrücktes S (Summe), deutet an, daß es sich bei der Integration um eine stetige, ineinanderfließende infinitesimale Summe handelt. Hierdurch erhalten wir sofort einen klaren Überblick über den Mechanismus des Kalküls.
Hätten wir etwa die Gleichung gegeben, bei der wir noch gar nicht wissen müssen, daß sie den Differentialquotienten oder die „Derivierte“ der Funktion bedeutet, dann können wir, rein nach den Regeln der Gleichungen, auch schreiben oder . Nun wissen wir weiter, daß eine Gleichung sich nicht ändert, wenn wir auf beiden Seiten dieselbe Operation vornehmen. Fordern wir also kühn, daß wir, Oavalieris Spuren folgend, auf beiden Seiten die „Summa omnium linearum“ bilden wollen.
Da Leibniz es für „nützlich“ hält, werden wir nicht: „Omnia dy = Omnia f'(x)dx“ schreiben, sondern einfach .
Die Summe aller ist aber nichts andres als die Summe aller Zuwächse von 0 bis , also die Ordinate des Endpunktes des vorgelegten „Bereiches“.
Daher ist .
Nun ist aber weiters oder die ursprüngliche Funktion.
Daher ist oder, das Integral über dem Differentialquotienten ist gleich der Stammfunktion, aus der dieser Differentialquotient gewonnen ist. Dabei spielt das dx, das das Integral gleichsam abschließt, eine merkwürdige Rolle. Denn es ist nichts als der distributiv zuzuteilende Faktor, der aus jedem Wert des Differentialquotienten, also aus jedem , erst das die Fläche zusammensetzende Rechteck macht. Das ist also gleichsam die Schrittgröße oder der Abstand zwischen den Ordinaten. Wir haben bisher absichtlich verschwiegen, daß der Differentialquotient selbst ja nichts andres ist als das Verhältnis der unendlichkleinen Katheten des zusammengeschrumpften „schraffierten“ Dreiecks unsrer oben geschilderten Figur 7. Die Hypotenuse dieses Infinitesimaldreiecks ist jenes Stück, in dem die Kurve und die Tangente ein und dasselbe werden. Also das Geradbiegungs- oder Rektifikationsstück der Kurve. Wir wollen es mit bezeichnen und können nach dem Pythagoras-Satz behaupten, daß .
Da nun , so ist die Summe aller wieder und ist gleichbedeutend mit der Kurvenlänge. Daher ist weiters wegen die Kurvenlänge , woran sich allerdings allerlei weitere Erwägungen schließen müssen.
So also sieht der Zusammenhang des Kalküls der Differential- und der Integralrechnung aus, wenn man vom Differentialquotienten ausgeht. Wenn man dagegen, wie es Leibniz in seiner weltbewegenden Notiz getan hat, vom Integral ausgeht, und als gegeben betrachtet, dann findet man, daß , d. h. der Differentialquotient des Integralresultats, wieder zu y, also zu dem zurückführt, was unter dem Integral steht.
Wir haben nicht die Aufgabe und nicht den Willen, ein Lehrbuch der Infinitesimalrechnung zu geben. Wir wollten nur darstellen, wie einfach und zwanglos sich die Notation Leibnizens in die schon vorhandenen Algorithmen einbauen ließ und wie durchsichtig sie dabei war. Das „Differential“ konnte nirgends entschlüpfen. Es stand, mikroskopisch vergrößert, fortwährend in der Rechnung und blieb dabei unter Kontrolle. Und es ist Leibniz kaum je passiert, falsch zu rechnen, was sich bei höheren Differentialquotienten, die Newton , usw. schrieb, eben bei Newton selbst häufig ereignete, da er die Maschine trotz all seiner persönlichen Virtuosität nicht mehr meistern konnte.