Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 132c
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Geschichte der Mathematik (Teil 32)
- Wie will nun Descartes seine Mathematik, in der jede Zahl eine Linie ist, aufbauen? Darüber gibt er uns genaue Auskunft. Er sagt: „Soll nun irgendein Problem gelöst werden, so betrachtet man es zuvörderst als bereits vollendet und führt für alle Linien, die für die Konstruktion nötig erscheinen, sowohl für die unbekannten als auch für die andern, Bezeichnungen ein. Dann hat man, ohne zwischen bekannten und unbekannten Linien irgendeinen Unterschied zu machen, in der Reihenfolge, die die Art der gegenseitigen Abhängigkeit dieser Linien am natürlichsten hervortreten läßt, die Schwierigkeiten der Aufgabe zu durchforschen, bis man ein Mittel gefunden, um eine und dieselbe Größe auf zwei verschiedene Arten darzustellen. Dies gibt dann eine Gleichung, weil die den beiden Darstellungsarten entsprechenden Ausdrücke einander gleich sind. Es sind dann so viele solcher Gleichungen aufzufinden, als unbekannte Linien vorhanden sind; wenn sich aber nicht so viele angeben lassen, obwohl man nichts, was in der Aufgabe enthalten ist, übergangen hat, so ist die Aufgabe nicht vollkommen bestimmt...“
- Wichtig an dieser Stelle ist die unzweideutige Forderung, daß man ein Problem als vollendet voraussetzen solle und daß man die Abhängigkeiten zwischen den „Linien“ so lange durchforschen müsse, bis man ein Mittel gefunden hat, eine oder mehrere Gleichungen zu bilden. Beide Forderungen sind Grundforderungen der analytischen Geometrie und der analytischen Methode überhaupt. Ohne schon gewisse Lehrsätze, Abhängigkeiten oder Beziehungen zu kennen, ist man außerstande, sie zu durchschauen und Gleichungen zu bilden. Dies ist gerade das Gegenteil des synthetischen Ideals, das von Descartes in der Algebra vertreten wird. Man muß nämlich beide Methoden handhaben. Und muß sich gleichsam vom Algorithmus synthetisch führen lassen, um eine möglichst lückenlose Formenwelt aufzubauen, die man dann wieder rückschreitend analytisch untersuchen kann.
- Setzen wir etwa alle möglichen Gleichungen der Form
- an und finden, daß sich daraus die Kurven „dritter Ordnung“ ergeben, dann können wir die allgemeinen und gemeinsamen Eigenschaften dieser Kurven rein algebraisch entdecken, indem wir z. B. fragen, wieviel Schnittpunkte eine derartige Kurve mit einer Geraden der Form
- bildet. Denn das erfahren wir durch Betrachtung der beiden als Gleichungen mit zwei unbekannten Größen aufgefaßten Ausdrücke rein algorithmisch und algebraisch. Wollen wir aber umgekehrt die Gleichung einer Kurve feststellen, von der wir etwa bloß die mechanische Konstruktion kennen, dann müssen wir mit Hilfe von allerlei Lehrsatzen, Proportionssätzen, des Pythagoras usw., innerhalb der Kurve Beziehungen finden, denen jeder einzelne Kurvenpunkt entspricht. Und zwar als Gleichheit, als „Gleichung“ zweier ansonst verschiedener Ausdrücke.
- Wir stellen dabei fest, daß das Wort „Koordinaten“ bei Descartes noch nicht gefallen ist. Es war vielmehr erst eine in den neunziger Jahren des siebzehnten nachchristlichen Jahrhunderts von Leibniz geprägte Bezeichnung für das, was Descartes „Fundamentallinien“ nennt. Aber auch das rechtwinklige, heute sogenannte „Cartesische“ Achsenkreuz gebraucht Descartes sehr selten. Er arbeitet mit verschiedenen, für unsre Augen noch sehr verkappten allgemeinen schiefwinkligen Koordinaten. Gleichwohl ist bei ihm, wie gesagt, die Zuordnung oder Koordinierung durchaus in unserm heutigen Sinn bereits erfolgt. Dies ersieht man sofort aus dem zweiten Buch seiner „Geometrie“, in dem er die Kurven näher unter die analytische Lupe nimmt und dabei sofort von einer „unendlichen Reihe“ von Kurven stets höherer Ordnungen spricht, wobei sich für ihn die Ordnung der Kurve aus dem höchsten jeweils in ihrer Gleichung enthaltenen Potenzexponenten herleitet. Denn, so sagt er, „...um alle (Kurven), die in der Natur überhaupt vorkommen, zusammenzufassen und sie der Reihe nach in gewisse Gattungen sondern zu können, ist es am besten, wenn man hervorhebt, daß zwischen allen Punkten der als geometrisch zu bezeichnenden Linien, d. h. also derjenigen, die ein genaues und scharfes Maß zulassen, und allen Punkten einer geraden Linie notwendig eine Beziehung bestehen muß, die vollständig durch eine und nur durch eine Gleichung dargestellt werden kann, und daß die krumme Linie der ersten und einfachsten Gattung zuzuzahlen ist, wenn diese Gleichung nur das Rechteck [Das heißt das Produkt!] aus zwei unbestimmten Größen oder das Quadrat einer derselben enthält (zu dieser ersten Gattung gehört nur der Kreis, die Parabel, Hyperbel und Ellipse), daß sie aber der zweiten Gattung angehört, wenn die Gleichung in den beiden Unbestimmten (denn es bedarf deren zwei, um hier die Beziehung eines Punktes zu einem andern darzustellen) oder einer derselben bis zur dritten oder vierten Dimension ansteigt, der dritten, wenn die Gleichung die fünfte oder sechste Dimension enthalt usw. bis ins Unendliche.“
- Diese fundamentale Stelle bedarf einiger ergänzender Bemerkungen. Wir haben schon erwähnt, daß Cartesius sich vollständig klar darüber war, die Reihe der zunehmend zusammengesetzten Kurven sei unendlich. „Zusammengesetzt“ ist eine Kurve aber dann, wenn ihre mechanische Erzeugung stets mehr von der Erzeugung durch Lineal und Zirkel entfernt ist. Zur Verdeutlichung dieses Umstandes demonstriert Descartes eine Vorrichtung, die wir nachstehend abbilden.
- Im Punkt Y befindet sich ein Drehpunkt, so daß der Schenkel YX im Sinne des Pfeiles aus der Lage YZ herausgedreht werden kann. An den Schenkeln nun gleitet eine beliebige Anzahl von Linealen, die in der Anfangslage derart übereinanderliegen, daß die Punkte B, C, D, E, F, G und H im PunkteA vereinigt waren. Drehen wir nun im Sinne des Pfeiles, dann verschieben sich die Lineale gegenseitig jeweils nach dem ihnen verbleibenden Freiheitsgrad, und die Punkte B, D, F und H beschreiben verschiedene Kurven, deren jede „um einen Grad zusammengesetzter ist als die vorhergehende“. Der Punkt B beschriebe einen Kreis. Wir können auf die weiteren, aus dieser Auffassung sich ergebenden Probleme nicht im einzelnen eingehen, sondern wir stellen nur fest, daß Descartes sich die Kurven dynamisch oder phoronomisch entstanden denkt. Der heute in Vergessenheit geratene Ausdruck Phoronomie bedeutet soviel wie abstrakte Bewegungslehre. Descartes sagt auch an andrer Stelle, daß man die Kurven in die Geometrie einbeziehen müsse, gleichviel, welchen Grades sie seien, „vor-ausgesetzt, daß man sie sich beschrieben denken kann durch eine stetige Bewegung oder durch mehrere aufeinanderfolgende solche Bewegungen, deren jede durch die vorhergegangene vollkommen bestimmt ist; denn auf diese Weise kann man stets eine scharfe Vorstellung von den Maßen einer solchen Linie erhalten.“
- Er meint weiter, daß sich die alten Griechen bloß durch einen historischen Zufall von der Betrachtung höherer Kurven hatten abschrecken lassen, da sie zuerst die Spirale und die Quadratrix phoronomisch erzeugten und untersuchten. Diese Kurven aber könnten nur „durch zwei voneinander verschiedene Bewegungen, die in keiner genau meßbaren Beziehung zueinander stehen, beschrieben werden.“ Sie sind, in heutiger Sprache ausgedrückt, durch algebraische Funktionen nicht darstellbar, sind also transzendent. Nun habe man dasselbe von allen den Grad der Kegelschnitte übersteigenden Kurven geglaubt, obgleich es unwahr sei, und habe deshalb die Forschung nicht weitergetrieben.
- Nun ware zu der oben zitierten Stelle noch beizufügen, daß Descartes den dritten und vierten, den fünften und sechsten Grad von Kurven usw. deshalb in eine Gattung zusammenfaßt, weil er imstande ist, durch geeignete Umformungen jeweils den vierten in den dritten, den sechsten in den fünften Grad usw. zu reduzieren. Wir Heutigen haben diese Cartesische Gattungsbezeichnung im allgemeinen nicht übernommen und sprechen, wie schon angedeutet, von Graden, die wir nach der jeweils höchsten Potenz der betreffenden Kurvengleichung bezeichnen.
- Descartes sagt nun weiters an andrer Stelle, er wähle eine gerade Linie, „um auf ihre Punkte die Punkte einer krummen Linie beziehen zu können“. Ferner wähle er einen Punkt auf dieser Linie, von dem aus als Ausgangspunkt die Rechnung zu beginnen ist. „Ich sage“, fahrt er fort, „daß ich diese beiden wähle, weil es freisteht, sie ganz nach Belieben anzunehmen; denn wenn man auch durch eine geeignete Wahl bewirken kann, daß die Gleichung kürzer und einfacher werde, so ist doch leicht zu beweisen, daß sich immer dieselbe Gattung für die Linie ergibt, wie man auch die Wahl getroffen haben möge.“
- Wir haben Descartes so oft und so ausführlich selbst sprechen lassen, damit sich jeder einen Begriff davon machen kann, wie genau er selbst das Wesen seiner Methode durchschaute. Man liest nämlich oft Dinge, die diese Tatbestände entweder ins Positive oder Negative verfälschen. Entweder wird nämlich dem Descartes zugeschrieben, er habe sich nirgends angelehnt, sei aus dem Nichts zu seinen Ideen gekommen, oder es wird behauptet, er habe die analytische Geometrie in unserem Sinne bloß geahnt. Von beiden kann nach seinen eigenen Worten keine Rede sein. Er kennt seine Vorgänger bis zu Apollonios zurück sehr genau, weiß aber ebenso genau, daß er im Zusammenhang mit seiner Philosophie etwas Neues schafft. Er packt auch am Schlusse seiner „Geometrie“ die Analysis rein algorithmisch an und baut zur Unterstützung der Analyse rein synthetisch eine Theorie der Gleichungen auf, die an und für sich sehenswert ist. Dabei ist er sich schon vollkommen klar über die Tatsache, daß der Grad der Gleichung die Anzahl der Lösungen bedingt, die allerdings auch negativ oder „falsch“, wie Descartes dies noch nennt, sein können.
- [Der sogenannte „Fundamentalsatz der Algebra“, der erstmalig von Girard im Jahre 1629 behauptet wurde.]
- Im Vorübergehen führt er die Ausdrücke „reell“ und „imaginàlr“ ein und entdeckt das Gesetz des Vorzeichenwechsels. Am Schlusse seiner „Geometrie“ bemerkt er, er habe nicht die Absicht, ein dickes Buch zu schreiben, sondern sei im Gegenteil bestrebt gewesen, mit wenigen Worten vieles zu sagen. Man könne, meint er ungefähr, auch alle höheren Probleme der Geometrie nach seiner Methode lösen, wie es ja überhaupt in der Mathematik nicht schwer ist, wenn man erst die zwei oder drei ersten Glieder einer Kette kennt, auch alle übrigen zu finden. „Und ich hoffe“, schließt er, „daß unsre Enkel mir nicht nur für die Dinge Dank wissen werden, die ich hier auseinandergesetzt habe, sondern auch für diejenigen, die ich absichtlich übergangen habe, um ihnen das Vergnügen zu überlassen, sie zu erfinden.“
- Dieser letzte Satz hat kaum ein Gegenstück in der Geschichte der Wissenschaften. Denn er ist sicherlich objektiv und subjektiv ehrlich. Descartes war ein souveraner Geist wie wenige, ein Grandseigneur des obersten Wissensreiches. Man fühlt in seinen Werken fast die Unlust eines alten Aristokraten, zuviel zu sprechen. Er weiß die Dinge, ist sich selbst darüber im klaren, und damit genug. Was geht sein Denken andre an? Dieses Denken, das nach seinem Leitsatz „cogito, ergo sum“ gleichsam der Wirklichkeitsbeweis für das Weltall ist. Aber er ist auch Offizier, kennt schwere Pflichten. Noblesse oblige. Er muß sprechen. Und so sagt er das Wichtigste, das Einzigartige, das Unwiederholbare. Aber nur ein einziges Mal, soweit es Mathematik betrifft. Denn die „Geometrie“ ist ja nur ein Anhang einer viel umfassenderen Offenbarung, des „Discours sur la methode“. Er interessiert sich nicht für Entdeckungen oder Resultate, sondern für die Ausbildung der Werkzeuge. Und er schreibt gleich nach Veröffentlichung der „Geometrie“ an Mersenne: „Erwarten Sie in bezug auf Geometrie nichts mehr von mir. Denn Sie wissen, daß ich mich schon lange sträube, mich damit zu befassen.“ Er hat andre Pläne. „Wer auch immer meine Gedanken aufmerksam prüfen wird“, sagt er in den „Regulae“ IV., „der wird bemerken, daß ich eine Wissenschaft im Auge habe, ganz verschieden von der Mathematik. Eher könnte die Mathematik ihre Hülle sein als ein Teil von ihr.“ Dieses letzte Geständnis ist sehr aufschlußreich. Denn damit ist all das bestätigt, was wir bei Descartes als eigentlichste Epoche fühlen, wenn wir ihn dem begrenzt Fachlichen ein wenig entrücken und ihn in eine höhere Sphäre emporheben: Descartes ist der erste seiner Tat voll bewußte Begründer einer Universalmathematik, die man auch als „instrumentale Mathematik“ bezeichnen könnte. Mathematik ist ein Zielweg, eine Methode, eine Umhüllung, ein Instrument. Und diese Maschine muß ausgebaut, verfeinert, poliert, subtilisiert werden, um gleichsam jeder Tourenzahl gewachsen zu sein.
- Algorithmus und Schreibweise, Untersuchung der allgemeinsten Form, Verschwisterung von Arithmetik und Geometrie, das sind die Forderungen, die für Descartes den Beginn bedeuten, um weiterschreiten zu können. Die Achse aber, um die sich die Maschine dreht, ist die Koordinatenachse. Denn sie ermöglicht es, durch „punktweise Beziehung“ das Gerade krumm und das Krumme gerade zu machen. Obwohl nun, wie Descartes meint, die Beziehung zwischen krumm und gerade nie ganz aufklärbar sein wird, hat man doch jetzt eine Maschine in der Hand, dem Problem dieser Beziehungen beizukommen. Denn das Gerade wieder liefert die Einheit, wird die Brücke zur Maßzahl und damit zur Zahl an und für sich. Von jetzt an spiegeln sich zwei weltenweit getrennte Sphären ineinander, leihen einander ihre spezifischen Kräfte und Möglichkeiten. Es sind die Sphären des „Denkens“ und des „Ausgedehnten“, um mit dem Philosophen Descartes zu sprechen. Es sind Begriffe und Anschauung, würden wir heute sagen. Und so wird die übergeordnete algebraische Form einmal zur Zahl und das andremal zur Figur. Und es kann ein stets wiederholtes, unterbrochenes, wieder aufgenommenes Überspringen stattfinden vom Algorithmus zur Kurve und von der Kurve zum Algorithmus. Damit aber wird jede „forma“, auch jede Naturerscheinung beschreibbar und rechnerisch faßbar, sofern sie einen Verlauf hat. Und aus der Dynamik kann in die Statik und aus der Ruhe in die Bewegung zurückgegangen werden.
- An einer Stelle aber zeigt sich bei Descartes schon wieder ein neuer Keim werdender Welten, den er anscheinend als solchen fühlt. Denn er sagt: „Ich glaube daher alles vorgebracht zu haben, was für die Elemente der krummen Linie vonnöten ist, wenn ich noch allgemein die Methode entwickle, in einem beliebigen Punkt einer Kurve eine gerade Linie zu ziehen, die die Kurve unter rechtem Winkel schneidet. Und ich wage es auszusprechen, daß dies nicht nur das allgemeinste und nützlichste Problem sei, das ich weiß, sondern auch das in der Geometrie zu wissen ich mir je gewünscht habe.“ Damit ist das Problem der Tangenten, Normalen, Subtangenten und Subnormalen in vollster Allgemeinheit aufgerollt, und zwar die analytisch-geometrische Durchdringung dieses Problems. Descartes weiß, daß es sich dabei um keine müßige Spielerei handelt. Denn sein durchdringender Blick muß erkannt haben, daß Tangenten und Normalen gleichsam die Gesetzgeber der Kurven sind. Darum will er auch die Gleichung finden, die die Normale in jedem beliebigen Punkt der Kurve haben muß. Denn damit hat er die Tangente in jedem Punkt und den Neigungswinkel dieser Tangente zu den Koordinaten oder Fundamentallinien. Wieder eine Maschine: es ist jetzt nur mehr nötig, die eine Variable der Tangentengleichung willkürlich zu wählen, um zu wissen, welche Neigung die Tangente im zugeordneten Punkt zur horizontalen Achse hat. So weit aber treibt, wenigstens ausdrücklich, Descartes seine Forschungen noch nicht. Er schafft bloß die Voraussetzungen zu derartigen Überlegungen und bemüht sich dabei, auch rein algorithmisch, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.
- Zum Abschluß wollen wir noch die neue Methode Descartes' von früheren Koordinatendarstellungen abgrenzen. Descartes hat den letzten Schritt auf dem Weg dieser speziellen Entwicklung getan. Er wählt willkürlich seine Fundamentallinien, seine Achsen, bestimmt willkürlich den Koordinatenursprung und bezieht nur punktweise das zu analysierende Gebilde auf diese Koordinatenachsen. Diese Koordinatenachsen sind jedoch nichts andres mehr als unausgesprochene Zahlenlinien, die jede Zahl darstellen dürfen, denn die Zahlen sind nun stets Linien, gleichgültig, aus welcher Rechnungsart die Zahlen entstanden sind. Summen, Differenzen, Potenzen, Wurzeln, all das sind Längen und nichts als Längen. Dadurch aber wird jede beliebige algebraische Gleichung mit zwei Unbekannten ein Beziehungssystem von Längen, kann also innerhalb dieser gewählten Linienkoordinaten jederzeit äquivalent und eindeutig abgebildet werden. Jede Figur oder Kurve aber, so verwickelt sie ihrer Entstehung nach auch sei, so sehr sie sich, rein phoronomisch betrachtet, aus einer Vielfalt von Bewegungen zusammensetzt, kann wieder umgekehrt in eine Gleichung gegossen werden, die das Gesetz der Kurve restlos in sich enthält. Da aber nun Zahl und Form gleichsam auf einen Generalnenner, die Länge, gebracht sind, darf in jedem der beiden an sich weltenweit verschiedenen Reiche ein Weiterbau, eine Zusammensetzung oder Zergliederung nach den eigentümlichen Gesetzen des betreffenden Reiches stattfinden. Mit den Gleichungen darf man nach Methoden der Arithmetik und Algebra rechnen wie mit Gleichungen, die nichts anderes bedeuten als eben Zahlenausdrücke. Mit den Figuren aber darf man konstruktiv nach Regeln der Geometrie umgehen, wie man will. Stets und an jeder Stelle jedoch muß sich trotz voneinander unabhängiger Behandlung der beiden Reiche in irgendeinem beliebigen Stadium wieder Übereinstimmung ergeben, wenn nur die Verschwisterung der Kurve und der Gleichung ursprünglich richtig und vollständig erfolgt ist. Es ist also jetzt ein janusköpfiger Algorithmus entstanden, eine Doppelmaschine mit zwangsläufiger Aneinanderkopplung. Und diese Großtat des Descartes beherrscht als „analytische Geometrie“, wie wir alle wissen, das mathematische Denken bis zum heutigen Tag.
- Aber noch mehr: dieser Doppelalgorithmus wurde das Werkzeug, mit dem die abendländische Menschheit durch dessen Anwendung auf Physik, Mechanik und Technik das Antlitz des Planeten Erde verändert hat.