Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 124c

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Geschichte der Mathematik (Teil 24)

8[editar]

Achtes Kapitel
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NICOLE VON ORESME
Mathematik und Natur
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Bevor wir weiterschreiten, ist eine grundlegende Bemerkung notwendig, die für das ganze Mittelalter und für den Beginn der Neuzeit gilt. Der Niederschlag der Tatsache, von der wir sprechen wollen, findet sich fast in allen Geschichtswerken der Mathematik, und auch eine Epochengeschichte kann nicht stillschweigend über das Neue hinweggehen, das konstellationsmäßig in die abendländische Welt gekommen ist.
Wir haben gesehen, daß die hellenische Mathematik, gleich ihrer Schutzgöttin Pallas Athene, voll gewappnet aus dem Haupte des Zeus sprang und sich weiterhin, als eine gehütete Kunst, fast vollständig rein hielt. Dadurch wurde sie stark und groß, dadurch aber verlor sie den Zusammenhang mit dem Leben, erstarrte und ging unter. Dadurch aber auch ward sie völlig individualistisch und ihr Wesen knüpfte sich eindeutig an die Namen der Bahnbrecher, die ihr priesterlich dienten.
Wir werden auch in der Neuzeit ähnliche Erscheinungen, gleichsam ein klassisches Zeitalter der Mathematik, beobachten können.. Es bleiben aber doch wesentliche Unterschiede zwischen einer Entwicklung, die aus dem Nichts eine Wissenschaft aufbaut, und einer Weiterentwicklung, die auf einem schon einmal aufgetürmten Kosmos fußt und diesen nur einer vollständig andersgearteten Seele anpaßt.
Es ist natürlich zuzugeben, daß sich rein gestaltmäßig viel von dem wiederholte, was sich bereits auf dem Boden des klassischen Altertums abgespielt hatte. Es wiederholte sich aber zum Teil unter dem direkten Einfluß dieser vorhergegangenen Entwicklung. Und dann war es auch von vornherein anders bedingt. Vier große Kulturkreise, Italiener, Deutsche, Franzosen, Engländer, arbeiteten unter sehr verschiedenen inneren und äußeren Antrieben und Bedingungen an der Neugestaltung unserer Wissenschaft, und über allem stand verbindend zuerst der Einfluß der römischen Kirche, dann aber trennend die Antithese zwischen katholischem und protestantischem Denken, wenn man vorläufig vom Einfluß der Philosophie noch absieht, der sich später mächtig geltend machte. Dazu aber kam außerdem noch ein sehr intensives Schulwesen, das von der religiösen und sozialen Struktur beeinflußt war.
Wir wollen mit all dem andeuten, daß wir unsere weitere Darstellung zunehmend mehr auf die Epochen als auf deren Baumeister abstellen müssen. Denn es waren oft nicht die größten Mathematiker, die das Neue brachten. Insbesondere nicht in der „Vorbereitungszeit“, die etwa bis zum Auftreten des Descartes währte.
Diese Verwahrung muß eingelegt werden, damit im Leser kein schiefes Bild der Entwicklung entsteht. Und es muß verhütet werden, daß man sich wundert, Namen besten Klanges, wie etwa die eines Regiomontanus oder Peuerbach, nur nebenbei erwähnt zu finden, während weit weniger universelle Mathematiker zu Sinnbildern von Epochen gestempelt werden. Sie sind aber, bis auf Descartes, weniger als Repräsentanten denn als Beispiele und Streiflichter aufzufassen. Denn von unserem momentanen Standort bis zu Cartesius arbeiteten gleichsam nicht einzelne, sondern es schuf eine ganze Zeit. Und die Mathematik entwuchs einer Reihe von Triebkräften, die bei den wichtigsten Völkern mit verschiedenem Anteil mitwirkten.
Es ist also schon hier am Platze, die Kräfte zu untersuchen, die als Paten die neue Zeit begleiteten und antrieben. Auf italienischem Boden war es, wie wir schon bei Leonardo von Pisa sahen, das Handelswesen, das in doppelter Weise auf die Mathematik wirkte. Es war ja nicht nur durch seine rein äußerliche Beweglichkeit, durch den Reiseverkehr und durch die Völkerberührung ein Anlaß und eine Unterstützung für mathematische Bemühungen gewesen; sondern es stellte darüber hinaus in seiner eigensten Sphäre Problem über Problem. Buchführung, Münzumrechnung, Zinsenrechnung, Geographie und Astronomie waren ohne arithmetische Kenntnisse kaum zu bewältigen, insbesondere dann nicht, wenn man guten Rechnern, wie den Arabern, gegenüberstand und die Probleme an sich selbst stets verwickelter wurden.
Der äußerlichsten Triebkraft des Handels aber stellte sich bald als zweite die innerlichste tiefster Philosophie an die Seite, die nicht zuletzt aus religiösen Gedankenkreisen gespeist wurde.- »Durch die Gründung der Universitäten von Oxford, Paris und Bologna, die zur Zeit Leonardos von Pisa schon in hohem Ansehen standen, war eine neue Geisteskultur erwacht, die später von den Humanisten, halb herabsetzend, die Scholastik genannt wurde. Wir werden aber gleich zeigen, daß eben aus diesen philosophischen Bereichen vielleicht die entscheidendsten Einflüsse für den Weiterbau der Mathematik entspringen. Und es wird sich herausstellen, daß die Naturwissenschaft, die sich über kurz oder lang geradezu als Antipodin der Scholastik fühlte, ihre mächtigste Waffe halb unbewußt durch die Scholastik empfing.
Es handelt sich dabei um die ganze Problemgruppe, die wir schon bei Archimedes angetroffen haben. Um die Begriffe der Stetigkeit, der Unendlichkeit und um einen neuen Begriff, der erst auf „faustischem“ Boden wuchs, um den Begriff der Funktion.
Wir kehren also in die Zeit des Leonardo von Pisa, in den Beginn des dreizehnten nachchristlichen Jahrhunderts, zurück. Noch zu Lebzeiten erwuchs dem Pisaner in Jrdanus Nemorarius, einem Deutschen, ein mächtiger Nebenbuhler. Jordanus war Dominikaner. Auf Einzelheiten seines umfassenden mathematischen Werkes, das nach allen Seiten großen Einfluß übte, wollen wir nicht eingehen. Wir wollen bloß einige Einleitungssätze seiner Schrift über die Dreiecke (de triangulis) unter die Lupe nehmen, die uns in verblüffender Art zeigen, wie weit sich schon der „faustische“ Geist von seinen arabischen und griechischen Vorbildern entfernt und selbständig gemacht hatte. Wir lesen dort Definitionen, von denen wir glauben würden, sie stammten aus dem neunzehnten Jahrhundert und seien Untersuchungen von Dedekind oder Bolzano. So definiert Jordanus folgendermaßen: „Stetigkeit ist Nichtunterscheidbarkeit von Grenzstellen, verbunden mit der Möglichkeit, abzugrenzen.“ „Der Punkt ist die Festlegung der einfachen Stetigkeit.“ „Ein Winkel entsteht durch das Zusammentreffen zweier stetiger Gebilde an einem Endpunkt ihrer Stetigkeit.“
Was man auch immer einwenden mag, sind derartige Definitionen zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts einigermaßen verblüffend, da sie zeigen, wie sehr sich schon der infinitesimale Gedanke mit all seinen Gegengesetzlichkeiten und Schwierigkeiten bei den Scholastikern vorbereitete. Und ein solcher war J ordanus. Er soll ja an der Pariser Universität gelehrt haben.
Unsere Verwunderung wird nicht geringer, wenn wir einem Franziskaner lauschen, der nur wenige Jahrzehnte später in England (in Oxford) wirkte. Wir meinen damit Thomas de Bradwardina (Bredwardin), dessen Name gewöhnlich Bradwardinus lautet und der in der Reihe der mächtigsten Doktoren als „Doctor profundus“ erscheint. Wir erinnern uns bei diesen großen Doktoren fast an die sieben Weisen Griechenlands. Und wollen daher einige anführen, die mehr oder weniger zu unserer Erörterung in Beziehung stehen. So hieß Roger Baco „Doctor mirabilis“, Thomas von Aquino „Doctor angelicus oder universalis“, Duns Scotus „Doctor subtilis“, Raimundus Lullus „Doctor illuminatus“, Wilhelm von Occam „Doctor invincibilis“ oder „singularis“.
Unser „tiefgründiger“ Doktor Bradwardinus also, der als Erzbischof von Canterbury im Jahre 1349 an der Pest starb, verfaßte unter anderem ein Werk über die Stetigkeit, einen „tractatus de continuo“, in dem zahlreiche Sätze stehen, von denen man glauben könnte, sie seien der allermodernsten Mengenlehre entnommen. So scheidet er das Stetige in das beharrende Stetige (continuum permanens), das sich etwa in Linien, Flächen und Körpern manifestiert, während das fortschreitend Stetige (continuum successivum) durch Zeit oder Bewegung verwirklicht wird. Wir finden weiters Sätze wie: „Indivisibile est, quod nunquam dividi potest. Punctus est indivisibile situatum.“ Also etwa: „Das Unteilbare ist das, was niemals geteilt werden kann. Der Punkt ist das lagemäßig fixierte Unteilbare.“ Weiters: „Das Unteilbare der Zeit aber ist der Augenblick.“ „Die Bewegung ist das aufeinanderfolgende Stetige, das in der Zeit gemessen wird.“ Nun untersucht der „Doctor profundus“ das Problem des Anfangs und des Aufhörens. Dadurch kommt er naturnotwendig zu Unendlichkeitsüberlegungen, die in einer unglaubwürdig scharfsinnigen Antithese ihre Krönung finden. Er unterscheidet nämlich zwischen kathetischer und synkathetischer Unendlichkeit. Kathetisch oder einfach unendlich ist eine Größe, die kein Ende hat. Synkathetisch dagegen ist das Unendliche dann, wenn es zu jedem Endlichen stets ein größeres Endliches gibt, ohne daß dieses Wachsen je aufhört. In der neuesten Zeit hat man für diesen Unterschied die Ausdrücke „transfinit“ und „infinit“ geprägt, insbesondere in der Mengenlehre, in der die Mächtigkeiten unendlicher Mengen kurz transfinite Kardinalzahlen heißen. Nun erklärt Bradwardinus weiter, daß das Stetige sich nicht aus einer endlichen Anzahl von unteilbaren Größen, ebensowenig aber aus einer unendlichen Anzahl von Unteilbaren zusammensetzen könne. Es enthalte bloß unendlich viele Unteilbare in sich. Jedes Stetige sei zusammengesetzt aus einer unendlichen Anzahl von stetigen Elementen derselben Art und habe unendlich viele arteigene Atome. Also bestehe etwa eine Strecke aus unendlich vielen Strecken, eine Fläche aus unendlich vielen Flächen, ein Körper aus unendlich vielen Körpern. In der gleichen unteilbaren Lage aber könnten nicht mehrere Unteilbare ihren Ort besitzen (Punkte in Punkten), was nichts anderes bedeutet als eine mathematisch-philosophische Formulierung des Gesetzes der Undurchdringlichkeit.
Jeder Mathematiker wird zugeben müssen, daß diese Erörterungen, die an Zeno und Aristoteles erinnern, vielleicht sogar an diese hellenischen Philosophen anknüpfen, durchaus nicht scholastischer Unfug sind, wie es denkfaule Empiristen stets gerne wahrhaben wollen. Denn selbst ein praktischer Ingenieur kommt manchmal über eine genaue Festlegung infinitesimaler Paradoxien und Gültigkeiten nicht hinweg, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß ihm irgendwo einmal eine Hängebrücke aus Nichtbeachtung „scholastischer Tüfteleien“ einstürzt.
Es ist überhaupt ein tragisches Gesetz der Wissenschaftsgeschichte, daß man „die Spione gern benutzt, sie jedoch verachtet“. Wozu dieser ewige Rivalitätsstreit um den Vorrang des Deduktiven und des Induktiven? Gerade die folgende Zeit wird uns zeigen, daß beide Zonen erst zusammen die ungeheure Fortschrittskurve ermöglichten, auf der sich der „faustische“ Geist der europäischen Völker in den nächsten Jahrhunderten aufwärtsbewegte, bis er der Welt tatsächlich in bisher noch nie geahntem Ausmaß auch rein äußerlich sein Antlitz aufprägen konnte.
Wir haben also zu zeigen versucht, daß Handel und Philosophie die neuabendländische Mathematik vorwärtstrieben. Aus der Seele der christlichen Völker aber stieg noch ein uraltes, vielleicht aus Indien überkommenes Erbe mächtig empor. Es war die tiefe Sehnsucht, die Natur zu erkennen, gepaart mit dem vielleicht erst jetzt entstandenen trotzigen Willen, diese Natur zu meistern und zu bezwingen.
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