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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 112c

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Geschichte der Mathematik (Teil 12)


Viertes Kapitel
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APOLLONIOS VON PERGÄ
Mathematik als Virtuosität
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Zwei Typen von Schaffenden beherrschen sowohl die Entwicklung der Wissenschaft als die der Kunst. Sie sind streng voneinander getrennt, liegen oft miteinander im Streit, scharen gleichsam Parteien um sich, die einander manchmal bis aufs Messer befehden, und geben darüber hinaus Anlaß, sehr kluge und sehr überspitzte Theoreme aufzustellen, worin das Wesen „wahrer“ Wissenschaft und „wahrer“ Kunst liege.
Es ist ungeheuer schwierig, festzustellen, wodurch diese Typen sich voneinander unterscheiden, da, wie bei allem Lebendigen, zahllose Übergänge und Halbschatten von einem Typus zum andern überleiten. Jede krasse Formulierung ist daher falsch. Wir müssen aber gleichwohl versuchen, diese polaren Erscheinungsformen des Genialen irgendwie zu deuten, da wir im andern Falle die wichtigsten Bahnbrecher der geistigen und der künstlerischen Menschheitsentwicklung nicht erfassen könnten.
Auf jeden Fall - und das ist der erste Unterschied - versucht ein Typus wie Archimedes, obgleich er den Zauber reinster Formgebung kennt, die Wirklichkeit nicht bloß durch Formzauber, sondern auch durch Inhalte zu bändigen und zu überwinden. Er will erkennen. Bis zu den letzten Tiefen. Und ruht nicht einen Augenblick im Werk. Er stürmt vielmehr mit einer Art von trotziger Ungeduld von einer Erkenntnis zur andern, wobei sein Werk mehr als einmal den Stempel des Unvollendeten, Sprunghaften, Unzusammenhängenden trägt. Der andre Typus manifestiert sich dagegen oft an einem einzigen Werk, das bis zu vollkommen unangreifbarer Vollendung vorgetrieben ist, sich von seinem Schöpfer löst, als sei es ein eigenlebendiges Wesen, und das eben dadurch eine gleichsam dem Werk selbst innewohnende Ewigkeit erringt.
Mag man nun, wie es später geschah, von klassischer und romantischer Haltung sprechen, mag man den Unterschied mit venezianischen Kunstausdrücken als Furia und Morbidezza, also sozusagen als rasenden Vorwärtssturm oder verrauchende, beinahe kränkliche Weichheit charakterisieren, mag man von Inhalt und Form, von Dynamik und Statik, von Sein und Werden, von Harmonie und Formauflösung, von göttlicher Ruhe und Titanentrotz, von euklidischer und faustischer Seele, von apollinischer und dionysischer Veranlagung sprechen: so bleibt stets als Wirklichkeitsrest das Bestehen dieser zwei Typen in allen Kulturen. Um zu verdeutlichen: so wie sich Archimedes und Apollonios zueinander verhalten, so verhalten sich etwa Leibniz zu Euler, oder Richard Wagner zu Mozart und Leonardo da Vinci zu Raffael oder Tintoretto zu Tizian.
Es ist kein Relativismus, wenn behauptet wird, daß beide Typen für die Entwicklung notwendig sind und beide, jeder auf seinem Platze, gleichen Ewigkeitsgehalt erzeugen und gleicherweise neue Kategorien des Weltverstehens erschließen können, was nach Georg Simmel das wahre Genie charakterisiert. Daher ist es auch sehr anfechtbar, zu behaupten, nur die Form sei ewig. Was heißt ewig? Ist ewig das, was unverändert die Zeit überdauert, oder das, was sich als Bestandteil und Stufe des Weiterkommens später herausstellt oder sich bereits so tief in den Kulturbesitz, bis in die Sprache und ins Denken hinein, durchgesenkt hat, daß wir sein Vorhandensein kaum noch bemerken? Die Formalisten werden die erste, die Inhaltsbringer die zweite Wirkung erzielen, wobei natürlich weder den ersten der Inhalt noch den zweiten irgendeine Form abgesprochen werden soll. Wir reden ja hier von den obersten Gipfelleistungen.
Nun wollten wir dies alles bloß festlegen, um das Genie eines Archimedes vom Genie des Apollonios abgrenzen zu können. Archimedes heißt allenthalben der größte Mathematiker des Altertums, manchmal sogar der größte Mathematiker aller Zeiten. Apollonios aber wurde bereits in der späteren Antike der „große Geometer“ genannt, ein Beiname, den er durch die Jahrtausende ungeschmälert beibehielt. War also der eine bloß ein großer, der andre dagegen ein größter Bahnbrecher? Oder war Apollonios gar nur ein mittelmäßiger Abschreiber, ein Zusammenfasser, ein Kompilator? Während Archimedes ein originaler Entdecker von viel umfassenderem Horizont war?
Wir werden später die Wirkung beider Epochenbringer bei der Geburt unsrer gegenwärtigen Mathematik sehen. Sie haben beide mitgewirkt. Und es wird behauptet, daß Archimedes gleichsam das Unendlichkeitsdenken, Apollonios dagegen den Koordinatenbegriff eingeführt habe, beides unerläßliche Voraussetzungen für die Entstehung und den Ausbau unserer „höheren Mathematik“.
Wo Urteile und Wertungen nicht eindeutig sind, dort ist es sicherlich am besten, dem Problem tiefer nachzuspüren, da von vornherein ein Wust von Mißverständnissen und kulturkritischen Parteistandpunkten zu erwarten ist. Wir werden also in unsrer bisherigen Art zuerst die historische Lage des Apollonios ansehen, um zu seinem Werk irgendeine Stellung gewinnen zu können.
Apollonios war ein jüngerer Zeitgenosse des Archimedes. Er dürfte etwa 40 Jahre alt gewesen sein, als Archimedes dem Mordstahl zum Opfer fiel. Und er soll um diese Zeit schon eine sehr bedeutende Leistung hinter sich gehabt haben. Apollonios war typischer Alexandriner, war ein Schüler der ersten Euklidschüler und verbrachte auch einen großen Teil seines Lebens im Museion zu Alexandria. Nur in späten Jahren dürfte er nach Pergamon übersiedelt sein. Er hat, wie viele der rein formalen Virtuosen, eigentlich keine Biographie und kein Schicksal, das uns aufrütteln oder ergreifen würde. Er lebte, schuf und starb. Und über die inneren Kämpfe, Peripetien und Stürme derartiger Menschen sind wir gewöhnlich nicht unterrichtet. Es mag da, ebenso wie bei Euklid, bei Raffael, bei Tizian, bei Euler, bei Aristoteles ein geheimes Gesetz walten. Dieser Formtypus ist angesehen, geehrt, führt ein ruhiges, geklärtes, manchmal allerdings auch bescheidenes Leben, und die Menschen bemächtigen sich in erster Reihe des Werkes und vergessen darüber den Schöpfer; ohne daß der Schöpfer sich wesentlich bemüht, diese Einstellung der Mitwelt zu korrigieren. Er tritt allenfalls nur hervor, um die Störenfriede der Form, die Männer des dynamischen Typs, selbst oder unter Mithilfe pedantischer und puritanischer Verehrer in die Schranken zu weisen. Oder aber er ist so sanften Gemütes, daß er auch dies unterläßt und ganz in seiner Formwelt vergraben bleibt.
Auf jeden Fall setzte sich der Himmelssturm eines Archimedes bei Apollonios nicht fort. Wir hören bloß, daß Apollonios in leiser, aber doch irgendwie verletzender Art die Archimedischen Forschungen angriff, worauf Archimedes in seiner „Rinderaufgabe“ ebenso leise und beinahe ironisch geantwortet haben soll. Apollonios hatte nämlich einen besseren Naherungswert für ??? az ??? als Archimedes gefunden und hatte auch nach Bekanntwerden der „Sandzahl“ eine Schrift über große Zahlen verfaßt, die das Periodensystem des Archimedes kritisierte. Nun habe Archimedes, so vermutet Friedrich Hultsch in der „Realenzyklopädie der classischen Altertumswissenschaft“, durch Aufstellung des Rinderproblems zeigen wollen, daß es auch Aufgaben gebe, die selbst einem Apollonios große Schwierigkeiten machen müßten. Die Lösung dieses Gleichungssystems ergibt nämlich nach neuesten Forschungen Zahlen mit über 200.000 Stellen in dezimaler Schreibung.
Wir erwähnten, daß Apollonios die eigentliche Archimedische Mathematik nicht fortsetzte. Dies muß mit aller Schärfe betont werden. Apollonios kümmerte sich nicht darum, daß ringsum der Erdkreis wankte, daß während seiner Lebenszeit die Entscheidungskämpfe um die Weltherrschaft der Römer stattfanden und die äußere Macht des Hellenentums zerbrach. Er wurde durch das Flammenzeichen von Syrakus nicht aufgeschreckt, wurde durch die Erfindertätigkeit des Archimedes nicht wachgerüttelt, sondern er setzte die hellenische Mathematik, die eleatisch-euklidische Geometrie fort und hob sie zu endgültiger Vollendung. Wobei er sich durchaus nicht allen Neuerungen verschloß, sondern im Gegenteil etwa in der Zahlenlehre zu Erkenntnissen vordrang, die einer starken Annäherung an unser Stellenwertsystem gleichen.
Seine eigentlichste epochale Virtuosenleistung aber sind die berühmten acht Bücher über die Kegelschnitte, die uns fast vollständig erhalten sind und die eine derartig staunenswerte Vollständigkeit zeigen, daß unser letzter Wahnglaube an die Naivität der griechischen Mathematiker schwinden muß. Der Begriff eines „Alexandriners“ ist ein Kulturbegriff merkwürdiger Prägung. Es genügen Gestalten wie Euklid, Eratosthenes und Apollonios, um ihn aufzustellen. Diese glasklare Ruhe des Forschers, dieser Überblick über die eigene Welt und diese Vollendung innerhalb des gegebenen Kosmos wurde kaum jemals wieder erreicht. Das Werk der Alexandriner mußte den Anschein erwecken, daß der Gipfel des Wissens erreicht sei und daß nichts mehr zu leisten übrig bleibe. Gerade aber solche Leistung ist neben ihrer Größe ungeheuer gefährlich für den weiteren Aufstieg der Kultur. Denn wie sehr der alexandrinische Vollendungsglaube trügerisch war, stellte sich später deutlich heraus. Allerdings erst nach einer Schaffenspause der Menschheit, die sich höchst verschwenderisch über zahlreiche Jahrhunderte und mehrere Kulturkreise erstreckte, bis plötzlich aus Regionen, die man bisher für abwegig gehalten hatte, die neue Entwicklung in unerwartetster Form emporschoß.


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