Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 215c

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Vom Punkt zur vierten Dimension. Geometrie für Jedermann.

15[editar]

Fünfzehntes Kapitel
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Schlußbemerkungen zu Hilberts Axiomatik
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Nun liegt das stolze Gebäude der Hilbertschen Axiomatik hinter uns. Wir wissen vorläufig noch nicht, was mit solch einem System geleistet ist. Wenn wir aber Geometriker werden wollen, dann müssen wir die Axiome in Fleisch und Blut haben, müssen sie, womöglich mit der Nummer auswendig wissen, damit wir uns nicht dort mit „Beweisen“ mühen, wo die Bestätigung und Unanfechtbarmachung einer geometrischen Tatsache durch die klare Aussage eines Axioms, also einer nicht mehr beweisbaren Grundwahrheit gegeben ist. Wir sind es unseren Lesern schon lange schuldig, einige Worte über das „Beweisen“ zu sagen. Beweisen heißt bei uns nichts anderes, als eine geometrische Behauptung dadurch erhärten, daß man ohne logische Sprünge solange zurückschließt, bis man schließlich auf lauter Axiome stößt. In der Praxis wird man sich damit begnügen, die geometrischen „Sätze“, die ja aus den Axiomen abgeleitet sind, als Instanzen der Berechtigung unserer Behauptung anzurufen. Nehmen wir etwa an, wir hätten behauptet, daß der Außenwinkel eines Dreiecks gleich sein müsse den beiden Innenwinkeln, die nicht denselben Scheitel haben. Wir können den Beweis aus der 180grädigen Winkelsumme im Dreieck ableiten. Diese aber ist wieder aus dem Parallelenaxiom und aus den aus diesem Axiom folgenden Sätzen über Winkelkongruenzen an der Transversale zu führen. Diese Winkelkongruenzen beruhen aber wieder auf Axiomen, nämlich neuerlich auf dem Parallelenaxiom in euklidischer Fassung und auf den Kongruenzaxiomen.
Dabei müssen Beweise streng und allgemein sein. Die Strenge verlangt, daß nichts vorausgesetzt wird, was nicht schon bewiesen oder axiomatisch feststehend ist. Weiters darf kein Kreisschluß gemacht werden, indem man den Beweis aus den zu beweisenden Tatsachen führt. Schließlich verlangt die Allgemeinheit, daß man sich vor Einzel- oder Grenzfällen hütet. Insbesondere sind regelmäßige Figuren für Beweise sehr gefährlich, sofern die Beweise nicht eben nur die regelmäßigen Figuren selbst betreffen. Dann muß man sich auch noch hüten, eine einfache Bewahrheitung oder „Verifikation“ für einen Beweis zu halten. Wenn man etwa ein gewisses Streckenverhältnis behauptet, hierauf die Zeichnung macht und endlich aus einer Nachmessung mit dem Zentimeterstab ersieht, daß das Streckenverhältnis stimmt, ist die Behauptung nur „verifiziert“ und durchaus noch nicht bewiesen. Denn messen kann ich nur den Einzelfall und selbst Hunderte von Messungen, die alle das gleiche Ergebnis lieferten, hätten erst den Wert einer sogenannten „induzierten“, also einer nur vergleichsweise allgemeinen Wahrheit. Es könnten ja stets durch weitere Messungen Fälle hervorkommen, in denen unsere Messung nicht stimmt. Trotzdem ist die „Verifikation“ ein wissenschaftliches Hilfsmittel von nicht zu unterschätzendem Nutzen. Ihr Gegenteil, die „Falsifikation“, hat einen höheren Erkenntniswert. Habe ich nämlich einmal durch Messung festgestellt, daß eine Behauptung die ich genau konstruktiv festgelegt habe, durchaus nicht wahr ist, dann bin ich sofort zur Annahme berechtigt, daß mein Satz überhaupt nicht oder wenigstens nicht allgemein gilt. :Wir wollen aber nicht weiter Philosophie der Mathematik treiben, sondern wir werden im Verlaufe unserer gemeinsamen Arbeit selbst ein gutes Gefühl dafür bekommen, was ein Beweis ist und was nicht. Wobei wir weiters zunehmende Freude an „eleganter“ Beweisführung gewinnen werden. Wenn auch der berühmte Physiker und Mathematiker Boltzmann einmal gesagt hat, Eleganz sei bloß die Aufgabe der Schneider und Schuster, so wollen wir diesen geistreichen Ausspruch doch nicht allgemein gelten lassen. Denn ohne ästhetische oder Kunstfreude würde uns die Geometrie schließlich sehr langweilig werden. Und die größten aller Geometriker, die alten Griechen, legten auf Eleganz ein ungeheures Gewicht. Dies ging so weit, daß sie auch richtige Ableitungen sehr geringschätzig betrachteten, manchmal sogar verwarfen, wenn sie dem Ideal der Eleganz, das ist einer mit Originalität gepaarten Strenge und Einfachheit, nicht voll entsprachen. Und wir sind oft eher geneigt, einem Geometriker den Titel eines „Schusters“ beizulegen, wenn er einen Beweis mühsam zusammenflickt, womit aber dem ehrsamen Gewerbe der Schuster nicht nahegetreten werden soll, sondern ausschließlich den uneleganten Geometrikern.
Zum Abschluß unserer Axiomatik noch wenige Worte über die Grundbedingungen, denen ein Axiomensystem zu genügen hat. Ein Axiomensystem muß vollständig sein, das haben wir in V.2. sogar axiomatisch festgelegt. Es muß aber auch widerspruchslos sein, was besagen will, daß die einzelnen Axiome einander weder ganz oder auch nur zum Teil widersprechen dürfen. Wenn dieser Forderung nicht Genüge geleistet würde, könnte es in den Folgesätzen eintreten, daß man zugleich zwei Gegenteile behauptete und sich dabei auf zwei einander widersprechende Axiome beriefe, was natürlich widersinnig wäre und unsere ganze Geometrie zerstören könnte. Die Axiome sollen aber schließlich drittens auch voneinander unabhängig sein. Es zeigt sich bei Hilberts Axiomensystem in der Tat, daß keine wesentlichen Bestandteile einer Axiomengruppe durch logische Schlüsse aus den jeweils voranstehenden Axiomengruppen abgeleitet werden können. Damit ist das Prinzip der Unabhängigkeit erfüllt. Insbesondere gilt dies für das Axiom IV., das Parallelenaxiom. Wir werden später sehen, daß man unter geeigneten Festsetzungen sämtliche Axiome außer dem Parallelenaxiom auf der Kugelfläche verwenden kann. Diese sogenannte „nichteuklidische Geometrie" (es ist dies, nebenbei bemerkt, nur ein Spezialfall) benutzt also alle Axiome mit Ausnahme des von allen anderen Axiomen unabhängigen Parallelenaxioms. Wenn aber, und das wollten wir sagen, unser Axiom IV nicht vollkommen unabhängig von den anderen Axiomen wäre, dann könnte es eine derartige Geometrie auf der Kugel überhaupt nicht geben, und es müßten sich bei Verwendung der Verknüpfungs- und der Kongruenzaxiome bei jeder Gelegenheit allerlei Unstimmigkeiten und Widersprüche herausstellen. Da dies aber nicht der Fall ist und da weiter durch geeignete Beweise die Existenz der gewöhnlichen oder Cartesischen Geometrie erhärtet werden kann, folgt nun auch jetzt die Möglichkeit nichteuklidischer Geometrien. Deren Axiomensystem kennt allerdings das euklidische Parallelenpostulat nicht, sondern müßte dafür in unserem Fall der festen Kugel etwa das Axiom setzen: „Zwei Gerade (Größtkreise), die zueinander parallel sind, müssen einander stets in zwei Punkten, den sogenannten Gegenpunkten, schneiden.“ Doch das werden wir alles später noch genau durchforschen.
Wir haben uns jetzt gleichsam durch einen sehr trockenen und reizlosen Sandstreifen durcharbeiten müssen. Man hat uns zwar gesagt, daß jenseits dieses Sandstreifens blühende Gegenden lägen. Manchmal, für kurze Augenblicke, haben wir auch am Horizont riesige Gipfelketten gesehen. War das alles aber nicht doch nur eine Fata Morgana?
Dem Anfänger scheint es fast so. Und wir sind uns vollkommen bewußt, daß jeden, der zum erstenmal ein Axiomensystem vor sich sieht, schwere Enttäuschung ankriecht. Zuerst hat all das Gerede über „letzte Wahrheiten“, „Urgründe“ der Geometrie und dergleichen im Zuhörer noch ein mystisches Gefühl, beinahe einen dem Jenseits entsprungenen Schauer ausgelöst. Nun aber, da er diese Axiome, diese „Binsenwahrheiten“ und „lächerlichen Selbstverständlichkeiten“ in Wirklichkeit vor sich gesehen hat, kann er nicht umhin, sich als genarrt zu erachten. Darüber, so fragt er, haben sich also die großen Geister zweier Jahrtausende aufgeregt? Darüber muß man grübeln und streiten, daß der Teil kleiner ist als das Ganze? Und daß man das kleinere Stück durch Wiederholung größer machen kann als das größere? Nein, Freunde, das sind entweder Gelehrtenschrullen oder recht anmaßende Zumutungen. Zumutungen nämlich, wenn man uns einreden will, daß solch eine Sammlung von Banalitäten ein „imposantes Gebäude des menschlichen Geistes“ sei.
Ich gebe die Tatsache solcher Verwirrung ohneweiters zu. Ich gebe auch zu, daß es uns allen einmal so ergangen ist. Es haben aber auch schon junge Menschen, die zum erstenmal Goethes Faust lasen, gewähnt, solche „Binsenwahrheiten“ könnte wohl ein jeder formulieren und all das »Geschrei um Goethe sei zumindest übertrieben, wenn nicht gar unbegreiflich.
Wir sind nun in der'glücklichen Lage, nicht bloß auf das Weltgesetz hinzuweisen, daß das Selbstverständliche und Einfachste gewöhnlich das Schwerste und das zuletzt Entdeckte ist. Und daß eine Wahrheit, die gleichsam alle Inhalte deckend ausdrückt, als größte Genietat angesprochen werden muß. Wir berufen uns in diesem Zusammenhang auch gar nicht auf das Ei des Kolumbus. Sondern wir sind, wie erwähnt, in einer glücklichen Lage: Wir können nämlich sofort zeigen, in welch rasender Schnelligkeit aus dem unscheinbaren Samen der Axiome der ganze Hochwald der Geometrie herauswachsen kann. Und wie dabei alle Fragen, die uns bisher gequält haben, beinahe spielerisch gelöst werden können. Vor allem aber ein Problem, vielleicht das Kernproblem der Geometrie überhaupt. Wir wollen es deshalb in aller Schärfe aussprechen und festlegen.
Was ist wohl der letzte Zweck unserer Wissenschaft? Was ihr letztes Ziel? Was ihre besondere Eigenschaft, die sie zur weltbeherrschenden Stellung unter allen Wissenschaften geführt hat? Wenn wir diese Fragen genau überlegen, dann müssen wir finden, daß es nicht der Sinn der Geometrie sein kann, bloß eine höchst luftige, gleichsam geisterhafte Welt von Figuren aufzubauen und deren äußerliche Eigenschaften zu studieren, wie etwa die Anzahl der Flächen, Kanten, Winkel und dergleichen. Gewiß, es ist notwendig, auch diese Eigenschaften zu erforschen. Wir kommen dabei aber allzu leicht in die Gefahr, daß unsere Forschung entweder zu einem Spiel oder gar zu einer Betrachtung entwertet wird, die nach dem Volksmund der Schlange ähnelt, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Figuren zu ersinnen und dann aus diesen Figuren die ersonnenen Eigenschaften wieder abzuleiten, ist nicht mehr als ein verderblicher Kreisgang (Circulus vitiosus). Nun ist aber auch dieser Kreisgang nicht stets vorhanden. Denken wir etwa an den „Pascal“ und an das Dualitätsprinzip. Dort fanden wir Dinge, die sicherlich vor der Entdeckung niemand geahnt hätte. Wir fanden eben „Neues“. Was aber fangen wir mit diesem „Neuen“ an? Das werden wir bald erfahren. Wir verraten vorgreifend, daß die Sätze von Pascal und Brianchon sich auf sogenannte Kurven zweiter Ordnung oder Kegelschnitte beziehen, die fast jedem als Kreis, Ellipse, Parabel und Hyperbel mehr oder weniger bekannt sind. Und wir können eben mittels dieser Sätze eine Unzahl von Konstruktionsaufgaben über Kegelschnitte in elegantester und in vergleichsweise einfacher Art lösen. Weil aber wieder unser Sehen auf dem Strahlenkegel beruht, der aus unserem Auge sowohl auf die Welt als auf die Netzhaut fällt, und weil weiters die projektive oder natürliche Geometrie eine solch enge Verwandtschaft zum Abbildungsvorgang im Auge hat, deshalb stehen alle Kegelschnittsätze in engster Beziehung zur projektiven Geometrie, sind gleichsam das Fundament dieser Geometrie. Man hat auch schon oftmals die projektive Geometrie geradezu als die Geometrie der Kegelschnitte bezeichnet.
Nun wird aber der Skeptiker mit Hecht einwerfen, daß das alles zwar sehr interessant sei, daß man sich aber daraus allein noch nicht die weltbeherrschende Stellung der Geometrie erklären könne. Es fehle trotz aller bisherigen Verteidigung unserer Wissenschaft noch immer ihre Befugnis, überall mitzusprechen. Denn höher als die Erkenntnis stehe für den Aufstieg der Menschheit die Tat. Und aus der Erkenntnis bloßer Lage- und Abbildungsbeziehungen könne keine Tat erwachsen. Ein solcher Einwand ist berechtigt. Wir haben es ja außerdem schon am Beginn unserer gemeinsamen Entdeckungsfahrt auf der Terrasse gesehen, was auf unsere braven Wirtsleute den größten Eindruck machte, was diesen schlichten Menschen als das eigentliche Wunder erschien. Es war die Möglichkeit, Dinge zu messen, die sich bisher jeder Messung entzogen zu haben schienen. Messen ist aber zum Teil eine Tätigkeit mit Verhältnisbeziehungen, zum Teil eine Tätigkeit, die ins Reich der Zahlen hinüberspielt. Wenn wir aber weiters nur alle Dinge messen könnten an die wir unmittelbar die Maßstäbe anlegen, so würden wir auch niemals auf den Gedanken gekommen sein, die Geometrie sei ein Mirakel. Imponiert hat uns etwa die Messung der Entfernung unserer Leuchtboje, die wir auf dem Umweg über logische Schlüsse und geometrische Lehrsätze aus einem einzigen wirklich gemessenen Bestimmungsstück, der Standortshöhe, und aus dem Anvisieren der Boje gewonnen haben.
Wir sind uns, glaube ich, über das Wesentliche schon im klaren: die praktische Krönung der Geometrie ist stets die Maßgeometrie. Und unser Bestreben muß es immer sein, aus einer zugänglichen, gewöhnlich beschränkten Anzahl von Bestimmungsstücken, auf Grund erforschter Eigenschaften geometrischer Gebilde, andere uns noch unbekannte, gleichwohl aber notwendige und interessante Stücke größenmäßig zu bestimmen; wobei unter „Stücke“ auch Größen verstanden werden können, wie der Flächen- oder Rauminhalt.


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