Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 104c

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Geschichte der Mathematik (Teil 4)
Wie diese Entdeckung von den Hellenen aufgefaßt wurde, beweist uns ein altes Scholion zum zehnten Buche der Elemente Euklids, das in neuerer Zeit als Bemerkung des schon erwähnten Philosophen Proklos Diadochos angesehen wird. Es lautet: „Man sagt, daß der Mann, der zuerst die Betrachtung des Irrationalen aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit brachte, durch einen Schiffbruch umgekommen sei. Und zwar deshalb, weil das Unaussprechliche und Bildlose immer verborgen hätte bleiben sollen. Deshalb auch wurde der Untäter, der von ungefähr dieses Bild des Lebendigen berührte und aufdeckte, an den Ort der Entstehung versetzt und wird dort von den ewigen Fluten umspült.“
Wem beim Lesen dieser Stelle nicht kalte Schauer über den Rücken rieseln, der hat für Mystik kein Gefühl. Eine jener sakralen furchtbaren Drohungen weht aus den Worten, wie sie nur durch Verkünder laut werden, die das Ziel und Ideal eines ganzen Volkes und seiner Zukunft bedroht sehen. Kein Wort des Mitleides mit dem Unglücklichen, kein Ton der Rührung. Er hat sich am Heiligsten vergangen, er muß stumm gemacht, vernichtet, sinnbildlich an den Ort der „Entstehung“, also ins Nichts, aus dem er gekommen, zurückversetzt Werden. Ewige Fluten mögen ihn dort umspülen, ihn ewig gefangen halten. Er hat die Urtiefen des Lebens berührt, in die wir nicht zurückschauen dürfen. Denn wir müssen vorwärtsschauen, und das Geschenk des Lebens haben Wir erhalten, um vom Unaussprechlichen und Bildlosen, vom chaotischen Urgrund, zum Klaren, Harmonischen, Bildhaften, zum Kosmos, zur Harmonie der Sphären aufzusteigen. Der Rest aus dem Tartaros, das Alogon, das Irrationale muß gehütetes Geheimnis Weniger Priester des Wissens bleiben, die es unverbrüchlich geheimhalten, auf daß nicht sein Schlamm, Wieder hervorbrechend, die mühsam gebahnten Pfade des Aufstieges ungangbar mache.
Vielleicht die hellenischeste aller Legenden, diese Legende von der Strafe der Götter am Ausplauderer des Geheimnisses. Aber das Geheimnis War nun einmal, verhältnismäßig bald, in die Öffentlichkeit gedrungen und die Wissenschaft mußte das Geheimnis in den Kauf nehmen. Sie tat es aber nicht in der Form einer Kapitulation. Sondern in der Form eines erbitterten Rückzugsgefechts. Noch heute ist der Kampf gegen das Irrationale nicht erloschen, noch in den letzten Jahrzehnten gab es heroische Versuche, das Irrationale irgendwie zu binden und einzuordnen.
Es trat für Pythagoras selbst zuerst an der unerwartetsten Stelle zutage. Dort, Wo man die größte Regelmäßigkeit voraussetzen hätte müssen. Nämlich bei der Untersuchung des rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecks, oder, was dasselbe ist, bei der Durchforschung der Diagonale des Quadrates. :Sind hier nämlich die beiden Katheten 1 und 1,
so ist das Hypotenusenquadrat gleich 2,
da 12 + 12 = 2,
und die Hypotenuse selbst ist, in moderner Art geschrieben,
gleich der Wurzel aus zwei =
Man kann aber suchen - und das wußte schon Pythagoras -, solange man will, so findet man keine ganze und auch keine Bruchzahl, die mit sich selbst multipliziert genau 2 ergibt.
Heute schreiben wir = 1,4142135624 ... und fügen Punkte an, die bedeuten, daß der Dezimalbruch kein Ende hat und daß es auch kein System gibt und keine reine oder gemischte Periodizität, die ein Zuendeführen dieses Systembruches auch nur in Gedanken gestattete. Die Zahl , d. h. deren Ergebnis ist alogos, ist unaussprechbar. Sie und andere derartige in keine Regel einzufangenden Zahlen sind, wie das Seholion zu Euklid sagt, bildlos. Sie sind höchstens ein Bild des Lebendigen selbst, das auch irrational ist, also jeder ratio, jeder zergliedernden, regelnden Vernunft spottet. Und trotzdem liegt die Hypotenuse des gleichseitig-rechtwinkligen Dreiecks, die Quadratdiagonale, so glatt, so abgeschlossen, so selbstverständlich da, als ob sie sich durch nichts von andern Strecken unterschiede. Hat sie etwa keine wirkliche Länge, keine Endpunkte? Ist sie an den Enden zerfasert oder zerfranst? Nein, sicher nicht! Man fand auch sofort noch mehr, noch Unheimlicheres: wenn man etwa die Quadratdiagonale als Einheit wählte, dann muß sie eine klare Strecke mit der ganzzahligen Länge 1 sein. Wie sehen aber dann die Quadratseiten (als Katheten eines rechtwinklig-gleichschenkligen Dreiecks) aus?
Sicherlich ist jetzt, um wieder in heutiger Sprache zu reden,
12 = x2 + x2, also
12 = 2x2 und
Unser x muß also sein, was
oder mit rationalem Nenner
ergibt.
Da nun irrational ist, muß auch dessen Hälfte irrational sein.
Was ist da geschehen? Jetzt sind plötzlich wieder die früher rationalen Katheten irrational? Man wußte auch sofort, was das bedeutete. Die zwei Längen sind jede für sich durchaus nicht irrational. Sie sind weder rational noch irrational. Aber sie sind nicht miteinander ganzzahlig und auch nicht durch irgendeine Art von Brüchen vergleichbar, sie sind also relativ zueinander irrational, sie sind ikommensurabel.
Und gleichwohl wieder ein neues Geheimnis: diese Eigenschaft bezog sich offensichtlich nur auf die Darstellung der Zahl als Quadrat. Stellte man etwa die Zahl 32 als Rechteck der Seiten 8 und 4 dar, dann konnte man ohne weiteres zwei kommensurable Strecken (nämlich 8 und 4) die „Flächenzahl“ 32 erzeugen lassen. Man konnte aber jetzt durch „Verwandlung“ dieses Rechtecks in ein inhaltsgleiches Quadrat, also durch eine Aufgabe der parabolischen Flächenanlegung, in dieser neuen Quadratseite die Quadratwurzel aus 32 darstellen. Diese war nun sowohl zu 4 als zu 8 inkommensurabel, somit das, was wir heute irrational nennen.
Aber auch an anderen Stationen der nun nach allen Richtungen einsetzenden geometrischen Forschung traten Irrationalitäten auf. Merkwürdigerweise gerade beim Regelmäßigsten. So insbesondere beim gleichseitigen Dreieck (Verhältnis von Seite und Höhe), beim gleich seitigen Sechseck und insbesondere beim gleichseitigen Fünfeck, dessen erste Darstellung und Erforschung sicherlich der pythagoreischen Schule, wenn nicht sogar Pythagoras selbst angehört. Es ist ja bekannt, daß das sogenannte Sternfünfeck, der spätere „Drudenfuß“, gleichsam Wappen und Erkennungszeichen der Pythagoreer war.
Aus der Lehre von den Vielecken aber ergab sich ein ebenso zwangsläufiger wie fruchtbarer Übergang zur Lehre von den Körpern, zur Stereometrie. Die von uns noch nicht gedeutete Stelle des Mathematikerverzeichnisses, daß Pythagoras sich mit den „kosmischen Körpern“ beschäftigte, bedeutet nichts anderes als die Entdeckung der regelmäßigen Vielflache oder Polyeder. Der plastische Sinn der alten Griechen hatte hiebei durchaus nicht die großen Schwierigkeiten, die später von der Geschichtsforschung oft ins Treffen geführt wurden, um die Unwahrscheinlichkeit einer so weit zurückreichenden Datierung dieser Entdeckung darzutun. Man fand inzwischen an verschiedenen Fundstellen Vielflachmodelle (Wie wir heute sagen würden), die aus Marmor oder Bronze bestehen. Zudem kann niemand leugnen, daß etwa der Würfel, das Tetraeder und das Oktaeder schon im alten Ägypten bekannt waren oder bekannt sein mußten. Es blieben also nur das Ikosaeder, das von zwanzig gleichseitigen Dreiecken begrenzt ist, und das aus zwölf gleichseitigen Fünfecken bestehende Pentagondodekaeder zu entdecken. Gerade der letzterwähnte Vielflächer lag aber den Entdeckern des regelmäßigen Fünfecks sehr nahe, und es wird sogar durch Jamblichos überliefert, daß ein gewisser Hippasos aus der pythagoreischen Schule es zustandegebracht habe, das Pentagondodekaeder als erster der Kugel einzubeschreiben. Nun habe er diese Entdeckung gegen jede Gepflogenheit der Pythagoreer veröffentlicht und sei wegen dieser Gottlosigkeit im Meer umgekommen. Also wieder ein „Gottesurteil“ wegen „Verbrechens gegen die Geometrie“. Jamblichos, der doch nach Christi Geburt lebte und schrieb, fügt bei, Hippasos habe durch seine Veröffentlichung zwar den Ruhm der Entdeckung davongetragen, sie sei aber eigentlich das Eigentum jenes, den man nicht einmal mit Namen zu nennen wage, nämlich des großen Pythagoras selbst. Aus dieser Äußerung geht für uns hervor, daß die Alten dem Hippasos zwar das Einbeschreiben in die Kugel, dem Pythagoras selbst aber die Entdeckung des regulären Zwölfflaches zubilligten.
Nun noch ein Wort zur Bezeichnung der Vielflache als „kosmische Körper“. Dieser Name hängt mit einer, wahrscheinlich nach-pythagoreischen, atomistischen Vorstellung über den Aufbau der Welt zusammen. Die Elemente bestanden aus kleinsten Teilchen, und diese seien beim Feuer Tetraeder, bei der Luft Oktaeder, beim Wasser Ikosaeder und schließlich beim Element Erde Würfel. Da man in dieser Zuordnung der regulären Vielflache an die Elemente das Dodekaeder nicht unterbrachte, behauptete man, es diene dem Weltganzen als Bauplan und Umriß.
Wenn uns nun auch diese letzte kosmologische Annahme vielleicht etwas erkünstelt und naiv anmutet, dürfen wir gleichwohl nicht vergessen, daß unsere allerjüngsten Vorstellungen über die Konstitution der Materie gar nicht so weltenweit anders geartet sind als diese ersten schüchternen Anfänge einer wissenschaftlichen Weltdeutung. Auch wir verlegen heute die unterschiedliche Artung unsrer Elemente in einen Unterschied der Atome oder Urbestandteile. Auch wir benutzen im „Atom-Modell“ von Niels Bohr, noch mehr aber in den Theorien von Schrödinger und Heisenberg ein irgendwie geometrisches Bild für die Strukturierung der Atome. Nur sind unsere Bilder nicht statisch und gestaltgebunden wie die althellenischen, sondern quantitativ (Elektronenanzahl) und dynamisch (Elektronenbahnen).
Wir haben hiermit das Wichtigste, was Pythagoras und seine Schüler leisteten, zumindest angedeutet. Es ist viel mehr, als ein flüchtiger Blick bemerkt, und mehr, als die Späteren glaubten, die es ja stets „so herrlich weit bringen“, wenn einmal nur der solide Grund gelegt ist. Diesen „Quadergrund“ erblicken wir aber nicht bloß ganz allgemein in der Erhebung der Mathematik zur deduktiv, also vom Allgemeinen ins Einzelne, arbeitenden Wissenschaft. Wobei es Wieder gleichgültig ist, ob die Entdeckung des allgemeinen Satzes auf induktivem Wege erfolgte. Denn nicht das„Experiment“ ist der Mathematik verboten, sondern das Stehenbleiben beim Experiment. Nicht allein also die Verallgemeinerung an sich war ein Verdienst der Pythagoreer. Sie legten darüber hinaus unvergängliche Fundamente im einzelnen und bewiesen dadurch, daß ihre Methode nicht bloß ein Programm, sondern selbst eine „Kunst des Entdeckens“ war, die sie Stufe über Stufe emporführte. Gewiß, der Lehrsatz des Pythagoras wurde an und für sich für die folgenden Jahrtausende ein Sprungbrett, wurde, wie man scherzhaft sagte, der Pons asinorum, die Eselsbrücke. Aus ihm Wuchs aber sofort der unheimliche neue Zahltypus des Irrationalen heraus. Und die Tatsache allein, daß die Pythagoreer, wenn auch zuerst in rein mystisch-kultischer Absicht, Zahlentheorie zu treiben begannen, wurde für den Aufstieg der Mathematik geradezu entscheidend. Denn bei eben dieser Beschäftigung wurde der Grund gelegt zum Studium der Zahlenfolgen und der Reihen. Und es ist ein sonderbares Zusammentreffen, daß gerade diese Reihen viel später die Brücke zu schlagen bestimmt waren vom rationalen Ufer zum noch uneroberten, unaussprechlichen, bildlosen Ufer des Irrationalen.
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