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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 285c

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Leibniz. Der Lebensroman eines weltumspannenden Geistes.


39. Die Erdgeister setzen sich zur Wehr

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Einige Stunden später - die Sonne neigte sich schon gegen Untergang und die umliegenden Wälder und der Garten strömten einen herben und frischen Duft aus - erschien eine junge Magd und meldete, daß eine große Schar von Herren und Knappen des Bergwerks draußen im Flur wartete. Wohin sie die Herren führen solle?
„In die gute Stube“, erwiderte Leibniz und sagte zum Diener: „Sie werden jetzt wohl auch hinein müssen. Die Steine können liegen bleiben. Komm, mein lieber Hund. Wir wollen sehen, was dieser Aufmarsch bedeutet. Ich fürchte, nicht das allerbeste.“ Und er ging ins Haus.
Die Türe, durch die er eintrat, führte in einen kleinen leeren Raum. Von dort leitete eine zweite Tür in ein großes gewölbtes Vorzimmer, von dem man wieder in die gute Stube gelangte.
Die Magd hatte nicht übertrieben. Es war wirklich eine ganze Schar von Männern, die ihn im holzgetäfelten Raum zwischen den bunt bemalten Möbeln erwartete. Er erkannte sogleich den Ober-Mechanicus des Bergwerks und zwei seiner Gehilfen, mit denen er schon vor einer Woche über die Bändigung der Grubenwässer gesprochen hatte. Weiters den Leiter des merkantilen Dienstes und den Vorsteher der Silberöfen. Schließlich war noch ein Steiger mit einigen älteren Bergknappen erschienen. Alle waren, je nach ihrem Rang, in mehr oder weniger kostbare schwarze Bergmannstracht gekleidet und trugen die charakteristischen schmalen Mützen mit dem Symbol der silbernen, gekreuzten Hämmer. Leibniz fiel es sofort auf, daß die Stimmung der Anwesenden eine düstre war und auch düster blieb, als er ihren Gruß erwiderte und sie mit einigen Scherzworten bat, um den großen langen Tisch herum Platz zu nehmen. Er selbst, der ja als Hofrat weit über allen stand, setzte sich an die Spitze der Tafel und gab seinem Diener den Auftrag, Brot, kalten Braten, Wein und Käse in ausreichender Menge zu servieren. „Bringen Sie vielleicht auch Kaffee“, rief er dem Diener nach. Dann wandte er sich an seine noch immer sehr steifen und zurückhaltenden Gäste.
„Es war mir bekannt“, begann er in absichtlich leichtem Ton, „daß ich das Vergnügen haben würde, heute noch eine vollständige Abordnung der Bergwerksleitung und der Silberöfen bei mir zu begrüßen. Und es ist mir besonders erwünscht, daß sich auch Vertreter der Bergleute aus eigenem Antrieb bei mir einfanden. In so wichtigen Angelegenheiten, wie sie heute verhandelt und hoffentlich bis zu einem ersprießlichen Arbeitsbeginn geführt werden sollten, ist jede Stimme, jede Erfahrung von höchstem Interesse. Natürlich auch die Stimme derer, die Tag für Tag unter der Erde der Tücke und den Gefahren der Gesteine und Wässer trotzen. Es ist, wie ich schon erwähnte, eine Beratung. Deshalb bitte ich geradezu jeden der Anwesenden, mir unverhohlen und ohne jede Zeremonie seine Meinung zu sagen. Die Beschlußfassung kann natürlich nicht Sache der Anwesenden sein. Die wurde mir selbst von seiner Hoheit, dem Herzog, übertragen, da Seine Hoheit weiß, daß ich gewohnt bin, Beschlüsse nur nach sorgfältigster Prüfung aller Umstände in die Tat umzusetzen. Deshalb auch bitte ich um Ihr Vertrauen. Denn bei so schwerem und gefährlichem Beginnen, wie es der Bergbau ist, kann gedeihliche Arbeit nur durch engstes, überzeugtestes Zusammenwirken erzielt werden. Und nun ersuche ich um Äußerungen, da Sie sich wohl sicherlich untereinander schon vorher über alles ausgesprochen haben dürften. Ich stelle als Beginn die Angelegenheit der Wasserhaltung zur Diskussion“.
Zuerst folgte ein betretenes Schweigen. Der Ober-Mechanicus, der merkantile Leiter und der Steiger tauschten verstohlene Blicke. Schließlich raunte einer der Gehilfen des Mechanicus diesem einige leise Worte zu.
„Gut, dann werde ich antworten“, erwiderte der Ober-Mechanicus, ein hochschultriger, untersetzter Mann mit buschigen Brauen und stechenden schwarzen Augen. Er starrte dabei auf die Tischplatte. Nach einigen weiteren durchschwiegenen Sekunden sagte er beinahe barsch: „Das ist alles nicht so einfach, Herr Hofrat, wie Sie es sich vorzustellen belieben.“
„Gewiß ist es nicht einfach“, replizierte Leibniz, um einen Schatten kühler. „Deshalb will ich mich eben beraten lassen. Ich wundere mich aber, offen gesagt, ein wenig, daß man hier das Eingehen in die Sache, die ja dem Herrn Ober-Mechanicus genau bekannt ist, durch solche Einleitungen verzögert. Ich bin mir nicht bewußt, Anlaß hiezu gegeben zu haben. Ich will mich mit Arbeitskameraden aussprechen, sonst nichts. “
„Sonst nichts?“ Der Ober-Mechanicus, der wie alle etwas unbeholfenen Menschen, die sich einem überlegenen Geist gegenübersehen, sogleich in einen überspitzt streitlustigen Ton verfiel, wurde feuerrot. „Herr Hofrat erklärten doch eben, Sie würden die Beschlüsse allein fassen.“
„Im Auftrag und mit Vollmacht Seiner Hoheit des Landesherrn. Ich verstehe Sie nicht mehr, Herr Ober-Mechanicus. Ist der Harz eine Domäne des Herzogtums, oder gelten hier andre Gesetze? Doch wir wollen einen Augenblick unterbrechen. Der Diener bringt eben den Imbiß. Vielleicht werden wir uns beim Wein besser verständigen.“
„Es war nicht so gemeint“, beschwichtigte der Vorsteher der Silberöfen, während der Imbiß und die Weinflaschen auf den Tisch gestellt wurden. „Der Herr Ober-Mechanicus will vor überstürzten Maßregeln warnen. Gerade als treuer Diener des Herzogs. Schließlich sind wir alle seit einem Menschenalter Fachleute und sind als Söhne und Enkel andrer Fachleute in der Jahrhunderte alten Tradition des Harzer Silberbergbaues aufgewachsen.“
„Ach so!“ Leibniz wartete, bis sich der Diener wieder entfernt hatte. Dann fügte er lächelnd bei: „Sie wollen mir also kurz und bündig erklären, ich hätte nicht die Kenntnisse und nicht die Kompetenz, Neuerungen einzuführen. Das ist kein Standpunkt, meine Herren. Durchaus kein Standpunkt. Bei aller Anerkennung Ihrer Verdienste. Es gibt nämlich auch jenseits des Ober-Harzes und jenseits aller Traditionen noch andre Bergwerke, noch andre mechanische Einrichtungen. Und es gibt daneben so etwas wie einen Fortschritt der Wissenschaft. Werden Sie sich etwa auch auf die Tradition berufen, wenn Seile von größerer Sicherheit entdeckt werden würden als die, die jetzt im Harz im Gebrauch sind?“
„Dann gewiß nicht, Herr Hofrat“, erwiderte der Ober-Mechanicus und blickte Leibniz starr an. „Nein, dann gewiß nicht.“ Er leerte hastig ein Glas Wein. Hierauf setzte er dumpf fort: „Für uns alle ist es sehr schwer zu sprechen. Sie sind da schon zu Beginn gleich mit Anwürfen des Ungehorsams gegen Seine Hoheit dreingefahren. Aber Ihre letzten Sätze machen uns manches leichter. Wir berufen uns nämlich nur dann auf die Tradition, wenn durch Neuerungen die Sicherheit vermindert wird.“
„Sie wollen also behaupten,“ fuhr Leibniz auf, „daß durch meine Projekte die Sicherheit in den Bergwerken vermindert wird? Das werden Sie zu beweisen haben, Herr Ober-Mechanicus.“
„Zu diesem Zweck haben wir vorgesprochen, Herr Hofrat. Noch mehr. Wir haben einen Mittelsmann mit einem Gesuch nach Hannover an Seine Hoheit gesandt.“
„Ohne mir vorher etwas zu melden?“ Leibniz schüttelte mehr erstaunt als entsetzt den Kopf. „Ich finde das, gelinde gesagt, ungewöhnlich.“
„Es handelt sich um das Leben der ganzen Belegschaft“, murrte der Ober-Mechanicus. „Und es ist einstimmige Ansicht aller Fachleute, daß die geplanten Maßnahmen nicht nur unnütz, sondern gefährlich sind.“
„Jetzt reißt mir aber bald die Geduld“, sagte Leibniz scharf. „Ich verlange von Euch Bergleuten im abgeschiedenen Harz durchaus nicht, daß ihr die Formen von Hofleuten beachtet. Aber nur beweislose Weigerungen auszusprechen, geht selbst unter mildesten Voraussetzungen nicht an. Ich sehe, daß mein verbindlicher Ton falsch war. Deshalb erkläre ich, daß ich sofort meinerseits, nicht hinter Ihrem Rücken, Seiner Hoheit über die jeder Beschreibung spottende Undisziplin seiner Beamten Bericht erstatten werde, wenn Sie mir nicht alle binnen einigen Minuten endlich einen einzigen Vernunftgrund für Ihre Anwürfe mitteilen können. Bei unserer Beratung handelt es sich um den Wohlstand des ganzen Herzogtums und nicht um die Starrköpfigkeit einiger gewiß tüchtiger, aber anscheinend unbelehrbarer Fachleute.“
„Es soll ein andrer für mich sprechen, Herr Hofrat“, sagte der Mechanicuas, plötzlich eingeschüchtert. „Wir meinen es gut, bei Gott und beim Kruzifix! Aber wir sind alte Harzleute und verlieren lieber unser Brot, bevor wir das Leben der uns anvertrauten Knappen aufs Spiel setzen.“
„So gehört es sich im Bergbau“, ließ sich die dröhnende Stimme des Steigers vernehmen. „Wir Knappen stehen zum unsren Führern, weil wir das wissen. Und gehorchen blind. Es kann uns aber niemand zwingen, einzufahren, wenn wir den sicheren Tod aufs Spiel setzen. Da verhungern auch wir lieber über Tag. Besser ein Kerkerloch, als das Ersticken in verschütteten Stollen.“ Die übrigen Knappen murmelten beifällig.
Leibniz war starr. Was bedeutete diese beinahe schon komische Revolte? Von welchem Teufel waren die Leute besessen? Aberglauben? Oder hatte man Ihnen Märchen eingeredet, um den lästigen Hofrat aus Hannover loszuwerden? Er sah von einem Gesicht zum anderen. Lauter grundehrliche, verwetterte, heilig ernste Blicke und Mienen. Sie glauben wirklich, was sie sprachen. Wie aber sollte er die Gründe herausbekommen, die sie zu solchem ungewöhnlichen Widerstand anstachelte? Sie waren sich ohne Zweifel bewußt, was sie mit ihrer Haltung wagten. Sie hatten ja selbst von Verlust des Brotes und von Kerker gesprochen. Mit Gewalt war also der „Verschwörung“, die schon bis zum Herzog reichte, nicht beizukommen. Sonst standen, morgen vielleicht schon, die Bergwerke still, und der Schaden war größer, als wenn man alles beim alten ließ. Man mußte also zum Schein nachgeben, um sich in die Nähe des Geheimnisses vorzutasten.
„Offenbar liegt ein Mißverständnis vor“, sagte Leibniz, plötzlich in äußerst verbindlichem Ton. „Anders kann ich mir Ihre Erregung nicht erklären. Und da ich doch hoffe, daß Sie mir nicht ernstlich zumuten, daß ich das Leben von Hunderten braver Bergleute aufs Spiel setzen will, soll mir jetzt der Steiger antworten, was er über meine Pläne gehört hat.“
„Ich habe mich selbstverständlich mit ihm beraten“, fiel der Ober-Mechanicus ein. „Und habe ihm erklärt, was ich von Ihnen erfuhr, Herr Hofrat. Die Angelegenheit der sogenannten Entwässerungsstollen und der neuen Pumpen.“
„Nun, und?“ Leibniz sah ihn fragend an.
„Nun - und da sind uns eben die Bedenken gekommen.“
„Die wollte ich ja gleich zu Beginn hören. Verstehen Sie noch immer nicht, was für einen Zweck unsre Zusammenkunft hat?“
„Nein, ich verstehe es nicht, da Sie, Herr Hofrat, entscheiden werden, wie Sie wollen, auch wenn wir uns heiser reden.“
„Also reden Sie sich einmal zuerst heiser. Dann werde ich entscheiden, ob ich entscheiden will.“ Leibniz lachte, um die Stimmung zu verbessern.
„Sie haben leicht lachen, Herr Hofrat!“ knurrte der Mechanicus. „Sie sind blutjung, haben nicht Frau und Kind, fahren wieder fort, wenn es schief geht. Aber meinetwegen soll jetzt der Steiger sprechen.“
„Nun, also los, Herr Steiger!“ Leibniz zwang sich, nicht neuerlich schärfere Töne anzuschlagen.
Der Angesprochene räusperte sich. Er war ein hünenhafter, schon weißhaariger Mann mit einem mächtigen Bart. Er erwiderte unbekümmert:
„Zuerst über den Wasserstollen, Herr Hofrat. Ich verstehe genau, wie Sie sich das vorstellen. Aber es wird gerade das Gegenteil dabei herauskommen. Entweder ist das Unglück gleich zu Beginn da. Wenn wir nämlich in der Nähe der wasserführenden Schichten zu arbeiten und einzuschlagen beginnen. Oder aber wir haben Glück. Dann arbeiten wir vielleicht zwei, Vielleicht zehn Jahre an dem Wasserstoflen und es wird inzwischen kein Erz gefördert, da die ganze Belegschaft nötig ist, einen solchen Riesenstollen durch das harte Gestein zu treiben; wenn wir auch Tonnen Pulvers versprengen. Und wie sollen wir einen solchen Stollen lüften, der nicht in den Schacht münden darf? Durch einen neuen Schacht? Das dauert wieder Monate und Jahre. Und jetzt kommt erst die Hauptsache. Wer bürgt uns dafür, daß wir überhaupt je zu Schichten kommen, die das Wasser in die ewige Tiefe ablaufen lassen? Und wenn es selbst oben so aussieht, kann es unten umgekehrt sein. Wir haben hier Falten und Knicke im Gestein. Was aber dann, Herr Hofrat? Dann bekommen wir mit unsrer Wasserführung den Einbruch von der entgegengesetzten Seite. Oder das Wasser läuft überhaupt nicht ab, der Stollen füllt sich in kürzester Zeit und der Wassereinbruch erfolgt aus ganz unerwarteter Richtung. Nein, Herr Hofrat lassen wir die Wasserschichten nur schön unangebohrt! Sie haben noch nicht erlebt, was so ein unterirdischer Wasserfall ist. Wir aber haben die Gebeine der Zweihundert ausgegraben, die vor Jahrhunderten einmal drunten ersoffen sind und verschüttet wurden. Derentwegen dann das Bergwerk durch Menschenalter stillstand, weil niemand mehr einfahren wollte.“ Der Steiger schwieg mit einem düsteren Blick und langte achtlos nach Brot und Braten.
Leibniz aber war aufmerksam geworden. Wie sollte er solche Bedenken zerstreuen? Wie diesen einfachen Leuten, die von solch furchtbarer Historie des Bergwerks verängstigt waren, begreiflich machen, daß es geologische Strukturen gab, bei denen die Wahrscheinlichkeit des Irrtums gering war? Die Argumente, die der Steiger vorgebracht hatte, würden täglich, stündlich wiederkehren. Bei jedem Sprengschuß, bei der kleinsten Enttäuschung. Und war es wirklich so sicher, daß diese vielleicht jahrelange Arbeit nicht fruchtlos war? Eine Arbeit, die unendliche Kosten verschlang? Würde man nicht dem Wasserstollen stets alle Schuld geben, wenn sich, aus ganz anderen Ursachen, ein Einsturz oder ein Wassereinbruch ereignete? Sicherlich war bei allem auch ein gutes Stück gekränkelter Eitelkeit der Mechanici und der leitenden Beamten dabei, die lieber Bedenken hervorsuchten als sie zerstreuten. Aber die Katastrophenstimmung war nun leider einmal da. Vergiftete die Arbeitsfreude im ganzen Bergwerk. Man mußte mit ihr rechnen. So sagte Leibniz:
„Ihre Einwände, Herr Steiger, die ja auch die Einwände des Herrn Ober-Mechanicuas und der anderen Herren zu sein scheinen, will ich durchaus nicht leicht nehmen. Der Bau des Stollens muß gründlich überlegt werden. Vielleicht werden wir sogar neue Knappen aufnehmen, um den normalen Betrieb nicht zu stören. Auf jeden Fall, dies zu Ihrer Beruhigung, würde ich nicht von der Nähe der wasserführenden Stollen beginnen und würde die Verbindung mit der Wasserregion erst herstellen, wenn wir einwandfrei eine Schicht für den Wasserabzug gefunden und angebohrt haben. Aber das sind alles spätere Sorgen. Viel mehr interessiert mich Ihre Ansicht über die neuen Pumpen, deren Zeichnungen und Holzmodelle Sie jedenfalls schon gesehen haben, da ich sie dem Herrn Mechanicus zum Studium übergab. Hier kann man wirklich nicht von Gefahr reden.“
„Wieso?“ Der Ober-Mechanicus schob sein Kinn vor und blitzte mit seinen stechenden Augen unter den buschigen Brauen hervor. „Diese Pumpen sind doch noch viel ärger als der vermaledeite Wasserstollen.“
„Das ist doch wohl ein Scherz?“ Leibniz war jetzt wirklich verblüfft.
„Ich bin sehr wenig zu Scherzen aufgelegt, wenn man meine Leute ersticken will.“ Der Ober-Mechanicus hieb mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Sie Sind von Sinnen? Wer will Ihre Leute ersticken?“ Leibniz glaubte tatsächlich, der Mann habe den Verstand verloren.
„Nein, wir wollen bei unsren Heinzenkünsten bleiben. Kein Wort mehr über Ihre Pumpen, Herr Hofrat!“
„Das ist nicht so einfach“, fiel Leibniz, wieder schärfer, ein. „Ihre guten Heinzenkünste, diese Holzrohre mit den ledernen, roßhaargefütterten Püscheln, mögen vor zweihundert Jahren eine große Erfindung gewesen sein. Heute aber schiebt man das Wasser nicht mit Püscheln in Holzröhrchen hoch, sondern man pumpt es hinauf. Seit der Entdeckung Toricellis über die Gesetze des Luftdrucks.“
„Das haben Sie mir erklärt, Herr Hofrat“, unterbrach der Ober-Mechanicus. „Ich habe Sie genau verstanden. Nur haben Sie übersehen, daß ein Brunnen und ein Bergwerk zwei verschiedene Dinge sind. Ob die Wasserkäfer und Frösche keine Luft haben, ist gleichgültig. Aber meine Bergleute brauchen die Luft. Sonst ersticken sie, wie ich schon sagte.“
„Was hat das mit den Pumpen zu tun?“ Leibniz war fassungslos.
„Was es zu tun hat? Sie selbst, Herr Hofrat, haben mich auf die Spur gebracht mit Ihrer Erklärung der Toricellischen Leere. Des luftleeren Raums. Ihre Pumpen werden nämlich nicht nur das Wasser, sondern auch die Luft aus dem Schacht und den Stollen saugen.“
„So ist es. Ich bin auch davon überzeugt“, sekundierte der Steiger.
Leibniz riß die Geduld. War er unter Wahnsinnige geraten? Oder war das nur schlaue Politik des Ober-Mechanicus?
„Das ist ein eindeutiger Unsinn!“ erwiderte er. „Sie haben die Entdeckungen Toricellis nicht verstanden,wenn sie so reden. Ich werde Ihnen Ihre sogenannten Überzeugungen durch zehn verschiedene Versuche widerlegen. Meinethalben mit lebenden Tieren. Oder sogar mit mir selbst als Versuchsobjekt. Und ich mache Sie weiter darauf aufmerksam, daß jetzt der Spaß sein Ende hat. Ihre gepriesenen ,Heinzenkünste‘, die sich ungeheuer rasch abnützen, da sowohl die endlose Kette als die engeingepaßten Püschel die Holzrohre verschleißen, sind vielmal teurer als die teuersten Saugpumpen. Sie stehlen also durch Ihre bockbeinige Weigerung, die durch nichts, aber schon durch gar nichts zu begründen ist, Seiner Hoheit und der Hofkammer geradezu das Geld aus der Tasche. Ich erwartete sachliche Vorschläge, nicht jedoch solch alberne Märchen. Und ich weise vor allem die Zumutung aufs entschiedenste zurück, daß ich etwas unternehmen würde, das Menschenleben gefährdet.“
Der Ober-Mechanicus ballte die Fäuste. Dann erwiderte er bebend:
„Wir haben erfahren, Herr Hofrat, daß Ihnen zweitausend Gulden Belohnung jährlich ausgeworfen sind, wenn Ihre Entwässerungspläne gelingen. Es ist begreiflich, daß Sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um diese Unsumme zu verdienen. Wie gesagt, wir alle begreifen das. Aber wir werden es trotzdem verhindern, daß Bergleute durch unfertige Projekte ihr Leben einbüßen!“
Leibniz schwieg einen Augenblick. Dann sagte er schneidend:
„Es ist mir leider unmöglich, mit offensichtlich Wahnsinnigen weiter zu beraten. Bedanken Sie sich für alles, was folgen wird, bei Ihrem Einbläser, Herr Ober-Mechanicus. Falls Sie nicht selbst der Einbläser sind. Ich werde jetzt die Befehle Seiner Hoheit und des Geheimen Rates einholen. Bis dorthin bleibt im Bergwerk alles beim alten. Wenn ich aber nur das leiseste über Disziplinwidrigkeiten oder weitere Aufwiegelungen der Arbeiter durch Vorgesetzte hören sollte, wird General von Podewils Soldaten herkommandieren. Das lassen Sie sich gesagt sein, Herr Ober-Mechanicus! Sie scheinen meinen guten Willen durchaus als Schwäche und Unsicherheit ausgelegt zu haben. Und nun sind Sie alle für heute entlassen. Ich werde morgen einfahren und mit der Uhr in der Hand prüfen, ob hier im Harz ebensoviel gearbeitet wird wie in anderen Bergwerken.“ Und Leibniz stand auf, verbeugte sich und ging aus dem Zimmer.
Die Bergleute aber verließen bestürzt und erregt das Haus und fühlten sich von allen Seiten bedroht und gefährdet.
Leibniz, der sich schon beim Hinaustreten in den Garten ein wenig über die Schärfe seiner letzten Worte ärgerte, streichelte den Hund, der an ihm hinaufsprang. Er hatte sich bald gefaßt. Aber er wußte, daß seine riesige Spirale bereits für immer zerrissen war. Denn nichts war unüberwindlicher als die Kombinationen von Hofintrigen mit der Verbohrtheit von Fachleuten. Wer jedoch am Hofe Johann Friedrichs ein Interesse daran haben sollte, seine Zellerfelder Entwässerungsprojekte zu verhindern, ahnte er vorläufig nicht. Daß dieser Versuch gemacht worden war, wäre einem harmloseren Menschen als Leibniz nach all den heutigen Ereignissen klar geworden. Oder sollte gar ein fremdes Land die Finanzkraft Hannovers schwächen wollen? Oder vielleicht eine Spion Joachim Bechers?
Leibniz sog die kühle Abendluft in seine Lungen, sein Geist begann sich dem größten Problem, den „Erdanfängen“, der Schöpfungsgeschichte des Planeten Erde, zuzuwenden, und er beschloß, alles übrige dem „Miracle de recherche“ zu überlassen.


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