Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 204c

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Vom Punkt zur vierten Dimension. Geometrie für Jedermann.

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Viertes Kapitel
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Vorläufige Bemerkungen über Parallele und Dreiecke
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Wir müssen leider diesen hochinteressanten Gegenstand schon verlassen, weil ein weit grundlegenderes Problem der Geometrie durch unseren Distanzmesser aufgetaucht ist. Wir wollen es diesmal von der arithmetischen Seite her anpacken. Wann, so fragen wir, ist eine Proportion richtig oder erfüllt? Diese Frage ist alles eher als überflüssig.
Das bloße Hinschreiben von a : b = c : d genügt durchaus nicht. Denn die allgemeine Form müßte jederzeit durch Einsetzen konkreter Werte zu verwirklichen sein.
Wenn ich aber etwa 3 : 7 = 2 : 4 behaupte, ist das schon auf den ersten Blick ein offensichtlicher Unsinn.
Denn 3 verhält sich zu 7 wie 2 zu 4⅔ und niemals wie 2 zu 4.
Mit dem bloßen Verlangen ist es also nicht getan. Das a muß sich zum b nicht nur forderungsgemäß, sondern tatsächlich so verhalten wie c zu d. Man definiert daher auch die Proportion so, daß sie die .Gleichsetzung zweier Verhältnisse sei, wobei diese Gleichheit wirklich bestehen muß, oder kürzer als „die wirkliche Gleichheit zweier (oder mehrerer) Verhältnisse“.
Nun haben wir uns bei unserem Entfernungsmesser getrost der Denkmaschine, dem „Algorithmus“ der Proportion anvertraut und haben nach ihren Regeln das Ergebnis berechnet. Wir zweifeln durchaus nicht an den Regeln zur Berechnung eines Außengliedes (bei uns des e) oder eines Innengliedes aus einer Proportion. In dieser Hinsicht verlassen wir uns vollkommen auf unsere schon anderwärts überprüfte Rechen- oder Denkmaschine. Wir sind lediglich verängstigt, da wir gesehen haben, daß nicht jede geforderte Proportion auch,wirklich eine Proportion sein muß.
Was ist aber dazu notwendig, daß unser Ansatz 1 : 12,4 = h : e eine wirkliche Proportion ist?
Offenbar nichts weiter als der Umstand, daß sich die entsprechenden Seiten im kleinen Dreieck ebenso verhalten wie jene im großen Dreieck. Denn dann haben wir zwei gleiche, zwei tatsächlich identische Verhältnisse, die' der strengsten Definition einer Proportion genügen. Wann aber sind entsprechende (homologe) Seiten zweier Dreiecke einander ähnlich? Etwa dann, wenn homologe Seiten zueinander im gleichen Verhältnis stehen? So geht der Beweis nicht. Das ist offensichtlich. Denn wir haben uns soeben in einem wunderbaren Zirkelschluß gefangen. Wir müssen uns als Kennzeichen der Ähnlichkeit ein anderes Kriterium suchen als jenes, das wir aus der Ähnlichkeit folgern. Es gäbe da verschiedene Möglichkeiten. Insbesondere könnten wir wieder die Perspektive heranziehen und uns eine dreiseitige Pyramide vorstellen, die durch zwei parallele Ebenen in verschiedener Höhe geschnitten wird. Als Schnittfiguren entständen zwei ähnliche Dreiecke. Wir können aber auch anders vorgehen, was auf nichts wesentlich anderes hinausläuft: Wir können nämlich behaupten, daß zwei Dreiecke dann ähnlich sind, wenn in ihnen alle drei Winkel je paarweise gleich sind.
Unsere gemeinsame Forschungsreise beginnt aufregend zu werden. Und ich will gleich das düstere Ergebnis vorwegnehmen: Wir werden uns nämlich in den nächsten Minuten noch tiefer in den Sumpf der Verwirrung hineinstrampeln. Aber das soll so sein. Denn dann werden wir mit um so größerem Genuß die Führerhand all der erleuchteten Geometer der letzten Jahrtausende ergreifen dürfen, die uns aus dem Sumpf wieder auf die Blumenwiesen und in die Kristallgrotten wahrer Geometrie leiten werden. Versuchen wir also an der Hand halbvergessener Schulkenntnisse getrost zu strampeln, wenn der Sumpf auch gefährlich ist. Zuerst zeichnen wir uns unser Schema noch einmal hin; jetzt aber ganz nackt als System geometrischer Linien:
Das große Dreieck hat die Winkel R, α und ß. Der Winkel R muß ein rechter sein, denn es liegt im Wesen einer Höhe h, daß sie als Senkrechte oder, wie man auch sagt, als Lot gezogen wird. Unserem rechten Winkel entspricht im kleinen Dreieck der Winkel, den der Steg und die Meßstange miteinander bilden. Daß auch dieser Winkel ein rechter sein muß, folgt daraus, daß wir unseren Steg rechtwinklig angesetzt haben. Wir wollten ja gleichsam die Höhe ehe durch den Steg ,lagemäßig entsprechend‘ verkleinert abbilden. Da wir nun weiters durch unser Senkblei ängstlich darauf achteten, daß die Meßstange mit der Entfernung, e parallel sei, folgt weiter, daß der Winkel zwischen der Meßstange und der Visierstange mit dem Winkel zwischen der Entfernung e und der Visierlinie als sogenannter Wechselwinkel gleich ist. Werden nämlich zwei Parallele durch eine dritte Linie, die sogenannte Transversale, geschnitten, ` dann sind die Wechselwinkel einander gleich.
Nun haben wir in unseren Dreiecken schon zwei je paarweise gleiche Winkel, nämlich die Winkel R und die Winkel a. Da aber bekanntlich in jedem Dreieck die Winkelsumme 2R oder 180° (180 Grad) beträgt, bleibt in beiden Dreiecken für den dritten Winkel nur
[180° - (R + α)] übrig, was in beiden Dreiecken das gleiche Ergebnis liefern muß. Denn Gleiches von Gleichem subtrahiert ergibt unbedingt Gleiches.
Daher hat dieses
[180° - (R + α)] in beiden Fällen den gleichen Wert Wir haben also zwar mühsam aber zwingend den Beweis geführt, daß alle drei Winkel in beiden Dreiecken je paarweise gleich sind. Wenn nun weiters die Gleichheit aller drei Winkel Bedingung der Ähnlichkeit zweier Dreiecke ist (was tatsächlich der Fall' ist und weshalb auch in der Geometrie der WWW-Satz oder Winkel-Winkel-Winkel-Satz als fundamentaler Ähnlichkeitssatz angeführt wird), dann sind auf unsere zwei Dreiecke auch alle Folgen der Ähnlichkeit, insbesondere der Satz von der Gleichheit des Verhältnisses je zweier entsprechender Dreieckseiten anwendbar. Und damit wieder hätten wir die beruhigende Sicherheit gewonnen, daß die Aufstellung unserer Proportion richtig und berechtigt war. Wo ist also jetzt der Sumpf, den wir ankündigten? Ein wenig Geduld. Wir werden ihn gleich in erschreckender Deutlichkeit wahrnehmen.
Wenn wir in Gedanken alle unsere Schlußfolgerungen noch einmal durchgehen, werden wir finden, daß wir mit einer Reihe von Begriffen und Feststellungen gearbeitet haben, wobei sich die eine geometrische Wahrheit zwingend aus der anderen ergab. An zwei Obersätzen hängt unser ganzer Beweis der Richtigkeit des Entfernungsmessers. Erstens an den Eigenschaften paralleler Gerader und zweitens an der Winkelsumme im Dreieck, die angeblich 180 Grade beträgt. Erörtern wir zuerst den zweiten Satz. In der Schule wird der Beweis für diesen Satz gewöhnlich in folgender Art geführt: Man ziehe eine Parallele zu einer beliebigen Seite des Dreiecks, worauf nach den Sätzen über die Winkel an der „Transversale“ alle drei "Winkel des Dreiecks gleichsam um den gegenüberliegenden Scheitel versammelt werden können. Das heißt, ich kann dort Winkel finden, die den.Dreieckswinkeln unbedingt gleich sein müssen. Daß aber diese Winkel zusammen 180 Grad oder zwei Rechte ergeben, dazu bedarf es keines Beweises mehr, da die Parallele eine Gerade sein muß und eine Gerade, in der man einen Punkt feststellt, der sie in zwei Halbstrahlen zerlegt, eben nach der Definition ein gestreckter oder 180 grädiger Winkel ist.
Kurz, der Winkel α bleibt an seinem Platz, und ß und γ werden als „Wechselwinkel“ (von denen wir schon oben sprachen) an die Parallele hinaufgesetzt, die ich wieder zugleich als zwei Halbstrahlen betrachte. Zwei Halbstrahlen aber sind ein völlig aufgeklappter oder gestreckter Winkel. In der Sprache der Tänzerinnen nennt man ein Kunststück, bei dem die Tänzerin die Fuße rechts und links auf dem Boden abgleiten läßt, bis endlich beide Beine eine horizontale Linie bilden, „Spagat“. Beide Beine gleichen jetzt einer gespannten Schnur, einem Bindfaden oder Spagat. Unsere Halbstrahlen sind nichts anderes, als ein Winkel, der „Spagat“ gemacht hat.
Es gibt aber noch eine zweite sehr einfache Art, die l80-grädige Winkelsumme des Dreiecks, allerdings an einem sogenannten „Grenzfall“, zu zeigen. Aus einem Grenzfall kann man es nie sicher entnehmen, ob der aus ihm abgeleitete Satz auch- ganz allgemein gilt. Einwandfrei ist nur der Beweis dafür erbracht, daß unser Satz in diesem besonderen Fall Geltung hat. Wir wollen aber gleichwohl unseren Grenzfall untersuchen. Niemand zweifelt also wohl daran, daß die Winkelsumme in einem sogenannten Rechteck vier rechte Winkel oder 360 Grade (= zweimal 180 Grade) beträgt. Das folgt aus der Definition des Rechtecks. Denn ein Rechteck ist eben ein Viereck mit vier rechten Winkeln. Wenn wir unser Rechteck nun durch eine sogenannte Diagonale in zwei Dreiecke teilen, dann müssen diese beiden Dreiecke kongruent sein. Kongruent aber heißt nicht nur ähnlich, sondern noch mehr. Nämlich gestaltmäßig und größenmäßig gleich. Kongruente Figuren lassen sich durch Verschieben in der Ebene oder durch Umklappen zur vollkommenen Deckung bringen, woraus folgt, daß je zwei entsprechende (homologe) Stücke dieser Figuren, etwa je zwei Winkel oder je zwei Seiten, einander gleich sind, weil sonst ein vollkommenes Decken der ganzen Figuren unmöglich wäre.
Daher muß die Winkelsumme in jedem der beiden Dreiecke ebenfalls gleich sein. Wenn aber zwei Dreiecke gleicher Winkelsumme zusammen dieselbe Winkelsumme aufweisen wie das Rechteck, dann hat jedes Dreieck die halbe Winkelsumme des Rechtecks, also 360 Grade dividiert durch zwei, folglich 180 Grade, was zu beweisen war. Wie ich aber die Sache im früheren Beweis oder im jetzigen beim Rechteck auch wende, werde ich irgendwie auf den Parallelensatz stoßen. Denn um die Kongruenz der beiden Dreiecke zu beweisen, muß ich sagen, das Rechteck sei ein Spezialfall des Parallelogramms, besitze also paarweise parallele Seiten und Parallele zwischen Parallelen seien gleich lang. Daher sei a gleich a, b gleich b und c falle für beide Dreiecke zusammen. Wenn aber in zwei Dreiecken alle drei Seiten beziehungsweise gleich seien, dann seien die Dreiecke“ eben kongruent. Woraus dann weiter die Gleichheit homologer Winkel folgt usf. Will ich aber die Kongruenz nicht nach dem SSS-Satz, dem sogenannten Seiten-Seiten-Seiten-Satz feststellen, dann muß ich etwa außer der gemeinsamen Seitege und dem ersichtlich homolog-identischen Winkel R noch die anderen Winkel prüfen. Üblicherweise brauchte ich nur einen der anderen Winkel zu untersuchen. Dabei würde ich aber die zu beweisende l80-grädige Winkelsumme im Dreieck schon voraussetzen. Nun schön! Prüfen wir also α und ß, die zusammen sichtlich 90 Grade betragen. Wieder müssen wir den Parallelensatz herbeirufen und diese Winkel als Wechselwinkel an der „Transversale“, die hier durch die Diagonale vertreten wird, betrachten. Wir entkommen also dem Parallelensatz in keiner Art. Deshalb hat man auch stets gesagt, daß unter der Voraussetzung der Gleichheit aller rechten Winkel, der Parallelensatz äquivalent sei dem Satze von der 180-grädigen Winkelsumme im Dreieck. „Äquivalent“ und das daraus gebildete Hauptwort „die Äquivalenz“ ist nicht leicht in seiner ganzen Bedeutung und Tragweite zu übersetzen. „Aequus“ heißt gleich und „valēre“ heißt etwas vermögen, wobei noch der Nebensinn der Kraft oder des Kräftigen in diesem „Vermögen“ steckt. Man könnte also das Wort mit „gleich wuchtig“, „gleich wichtig“, „gleich geltend“, „gleich bedeutungsvoll“ oder noch anders übersetzen. Umschrieben heißt das Wort, daß etwa ein geometrischer Satz mit gleicher Kraft, gleichem Inhalt, gleicher Gültigkeit und gleichen Folgewirkungen an die Stelle eines anderen Satzes treten könne, obgleich es auf den ersten Blick gar nicht so aussehen muß. Äquivalente Dinge sind verschiedene Form-Offenbarungen einer und derselben Grundtatsache. Etwa ist in der Physik die Wärme der Energie „äquivalent“. Ich glaube aber, daß wir uns auch hier nicht allzusehr festlegen sollen. Wir werden unseren Ausdruck „äquivalent“ durch den Gebrauch langsam erschöpfend kennenlernen.
Auf jeden Fall haben wir durch unsere Bemühungen erfahren, daß wir stets wieder unmittelbar oder mittelbar irgendwie zum Parallelensatz zurückgeführt werden, der in seiner ursprünglichsten Form etwa so lautet: „Durch einen Punkt außerhalb einer Geraden ist zu dieser Geraden immer eine Parallele und stets nur eine Parallele möglich. Parallel aber sind zwei Gerade, wenn sie einander trotz beliebiger Verlängerung nach beiden Seiten niemals schneiden.“
So einfach dies nun zu sein scheint und so selbstverständlich es jedem vorkommt, daß man etwa ein gerades Schienengeleise, soweit man will, in die Unendlichkeit hinaus in einer Ebene legen kann, wobei sich die beiden Schienen einander niemals nähern oder einander nie schneiden werden, so unmöglich war es bisher durch die Jahrtausende, die wirkliche Gültigkeit dieses Satzes zu beweisen oder auch nur seinen notwendigen Zusammenhang mit den anderen grundlegendsten Sätzen der Geometrie aufzuzeigen.
Im Laufe der Zeit ist dieser Satz geradezu zum „Skandal der Mathematik“ geworden. Stets wieder glaubte man, ihn felsenfest verankert zu haben, stets wieder stellte sich jeder versuchte Beweis als Scheinbeweis oder als Trugschluß heraus. Bis sich schließlich am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, in mehreren genialen Köpfen gleichzeitig emporblitzend, die große Revolution der Geometrie vollzog, die den endgültigen Nachweis von der Unbeweisbarkeit und Nichtallgemeinheit des Parallelensatzes erbrachte. :Doch es ist noch viel zu früh für uns, die letzten Probleme der Geometrie, die Frage der sogenannten „nichteuklidischen“ Geometrien zu erörtern. Wir wollten nur die Tiefen des Sumpfes von der einen Seite zeigen. Sofort aber werden wir andere Seiten enthüllen.
Vor allem haben wir mit Recht schon ein großes Gefühl von Unsicherheit. Wir haben mit allerlei Begriffen operiert, haben geometrischen Gebilden allerlei Eigenschaften beigelegt, die wir gar nicht weiter prüften, haben gefordert, man solle sich unter Punkt, Gerade, Ebene usf. „etwa“ das und das vorstellen, haben Dinge gezeichnet, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, wie etwa die Visierlinie, haben einmal behauptet, noch niemand habe Parallele „wirklich“ gesehen, worauf wir den Grundsatz der Parallelität wieder gleichsam zum letzten Orakel der Geometrie avancieren ließen. Dann wieder haben wir den Glauben an die Parallelität mit dunklen historischen Andeutungen zum zweitenmal zersetzt, haben sogar den Sturz des Parallelensatzes verkündet. Und schließlich haben wir an zahlreichen Stellen den Eindruck gewonnen, daß auch dort, wo wir Beweise brachten, ununterbrochen die Gefahr auftaucht, in ergebnislose Zirkelschlüsse zu geraten. Dabei wissen wir noch gar nicht, was „beweisen“ überhaupt heißt. Dürfen wir, so müssen wir als ehrliche Menschen fragen, dürfen wir also ohne weitere Prüfung unsere Logik auf Dinge der Geometrie anwenden? Was geht da vor? Das, was man mit klaren Augen sieht? Oder das, was man bloß logisch erschließt? Dann haben wir wieder gerechnet, haben eine Proportion aufgestellt, sind von der Arithmetik zur Geometrie und von der Geometrie zur Arithmetik übergesprungen. Wann darf man das, wann darf man das nicht? Sind Geometrie und Arithmetik stets „äquivalent“? Gut, angeblich war die ganze Welt nichts als Geometrie. Was aber um Himmels willen heißt das wieder? Ist die ganze Welt der Geometrie äquivalent oder die Geometrie der ganzen Welt? Ist vielleicht Geometrie gar nur ein menschliches Bemühen? Etwa eine Meßkunst? Und wie kommen wir dazu, die Allgemeingültigkeit unserer geometrischen Erkenntnisse zu behaupten? Sind geometrische Erkenntnisse aus der Erfahrung gewonnen oder vom Menschen erzeugt? Oder dem Menschen irgendwie angeboren?
Der Sumpf wird bei jeder unserer Fragen zäher und unergründlicher. Wir haben jede, aber auch jede Sicherheit verloren. Wir haben auch anscheinend ohne irgendeine Methode gearbeitet, ohne Ziel und Überblick. Sonst könnten wir nicht schon beim Entfernungsmesser des Thales von Milet, der doch wirklich höchst einfach ist, in ein derartiges Gestrüpp von Schlingpflanzen geraten. Wie soll es uns da erst bei den verwickelten Problemen ergehen? Und dazu sind wir noch auf etwas gestoßen, als wir intensiver an unseren Entfernungsmesser dachten, was auch das wenige, das wir zu besitzen glaubten, vernichtet. Wir haben uns nämlich unsere Konstruktion des Entfernungsmessers zudem gleichsam noch erschwindelt. Praktisch wird unser Schwindel nicht zum Vorschein kommen, da er wahrscheinlich von viel gröberen Verstößen, größeren „Fehlern“ überdeckt wird. Aber wir wollen ja nicht praktische Geodäsie, sondern Geometrie treiben, und Geometrie ist eine Wissenschaft. Eine Wissenschaft aber ist Theorie, somit das genaue Gegenteil von Praxis, wenn sie auch auf die Praxis angewendet-werden kann und angewendet wird.
Nun aber werden wir nicht mehr weiter grübeln, sondern den „Schwindel“ aufdecken. Wir haben nämlich bei unserem Entfernungsmesser kühn angenommen, der Seespiegel sei eine durchaus ebene Fläche. Das stimmt in Wirklichkeit nicht. Die Wasseroberfläche hat, abgesehen von Störungen, unter dem Einfluß der Schwerkraft der Erde genaue Kugelgestalt bzw. die Gestalt von Teilen der Kugelfläche. Wenn wir jetzt das Schema unseres Entfernungsmessers zeichnen, erhalten wir ein ganz anderes Bild. Dazu ist noch zu bemerken, daß wir den Entfernungsmesser selbst mit einem Lot oder Senkblei ausgerichtet haben. Auch die Terrasse ist von den Maurern seinerzeit mit dem Senkblei lagemäßig ausgerichtet worden. Weiters bemerken wir, daß wir die Krümmung der Erde sehr übertrieben zeichnen werden. Das ändert zwar manches an der Größe des entstehenden Fehlers, nichts dagegen an der Tatsache seines Vorhandenseins.
Wir sehen aus der Figur sofort, daß von unseren seinerzeitigen geometrischen Voraussetzungen nichts übrig geblieben ist, wenn wir mit der gemessenen Höhe h, dem einzigen bekannten Bestimmungsstück, das wir haben, operieren wollen. Es existieren jetzt weder Parallele, denn die Entfernung e ist ein Kreisbogen geworden, noch auch die Ähnlichkeit von Dreiecken, Ja die eine Seite des „großen“ Dreickes eben dieser Kreisbogen ist. Weiters sieht es mit dem Winkel bei der Boje höchst windig aus. Ein Winkel zwischen einer Geraden und einem Kreisstück paßt nicht in unsere bisherigen Begriffe. Man könnte ihn, wie es in der Geometrie tatsächlich geschieht, höchstens als Winkel zwischen einer Geraden und zwischen der Tangente des betreffenden Punktes des Kreisumfanges feststellen. Also in folgender Art:
Dieser so gewonnene Winkel an der Boje ist aber durchaus wieder nicht mit dem Winkel des Entfernungsmessers identisch, sondern sicherlich kleiner. Zeichnen wir uns jetzt unser Schema noch einmal auf:
Wir werden dadurch zur Vermutung geführt, daß die Winkel und desto mehr der Gleichheit zustreben, je flacher der Kreisbogen wird, was wieder eine Folge größeren Halbmessers ist.
Als Präzisionsinstrument von theoretischer Genauigkeit aber können wir unseren Entfernungsmesser nach unseren letzten Erkenntnissen nicht mehr ansehen. Bei ganz genauer Messung und Visierung müßten wir stets einen Unterschied zwischen unserer Ablesung und zwischen der tatsächlich über dem Erdboden bzw. Seespiegel gemessenen Entfernung finden. Wie groß dieser Unterschied ist, kann natürlich auch mathematisch festgestellt werden. Wir besitzen aber durchaus noch nicht die Kenntnisse, uns an diese Aufgabe heranzuwagen. Wir werden vielmehr für einige Zeit wieder alle Skrupel und Bedenken beiseiteschieben, werden uns auf den Standpunkt stellen, wir hätten unsere Distanzmessung in einer tatsächlich idealen Ebene durchgeführt und werden aus unserem Instrument und seiner Behandlung und, aus all dem, was wir nebenbei erörterten, zuerst einmal die Einsicht zu gewinnen trachten, was die Zwecke, Aufgaben und Mittel der Geometrie sind. Dann aber werden wir noch einmal alles vergessen, was wir bisher gehört haben, und werden unsere Wissenschaft aus den Ursprüngen aufzubauen trachten, wobei wir bewußt und ausdrücklich die geniale Geistesarbeit mehrerer Jahrtausende benützen werden.


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