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Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 190c

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Archimedes (Teil 29)


Die Barken aber, das hatte Aletheia ihm schon erzählt, waren einer der Blutströme, die das Herz Alexandria, unablässig pulsend, nach Osten entsandte. Sie umschlossen eine Üppigkeit sondergleichen. Liebespaare, Familien, ganze Gesellschaften von Zechern, Buhlerinnen, alles, was Alexandria in Überzahl beherbergte, war auf diesen Barken versammelt. Man trank, lachte, schrie, sang, tanzte an Bord. Und Flöten, Sistren, Zithern spielten auf, dass Tausende von Melodien durcheinanderklangen. Und Edelsteine funkelten, geschminkte Gesichter leuchteten und alle Buntheit, die der Reichtum der Riesenstadt an Kleidern hergeben konnte, wurde von vielfarbigen Laternen aus der Schwärze der jetzt vollkommen eingebrochenen Nacht herausgehoben. Über ihnen aber flirrten in unwahrscheinlicher Leuchtkraft die Sterne.
Aletheia war, als sie einmal im Strom des Lebendigen trieben, wie verwandelt. Eine andere Wirklichkeit hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie war plötzlich unvermittelt eine überlegene Weltstädterin, die in allem und jedem Bescheid wusste und mit beißender Ironie, gestützt auf genaueste Kenntnis der Dinge und der Personen, über das, was eben in ihren Gesichtskreis trat, ihre Bemerkungen machte.
Archimedes war wie berauscht. Er lehnte ihren Ton durchaus nicht ab. Auch nicht innerlich. Ja, es ergab sich sogar, dass er, je mehr sie sich von den Bereichen seiner eigentlichsten Art entfernte, ihr Wesen um so heftiger empfand und begehrte und an ihrer Weltsicherheit erst fühlte, dass sie irgendwie doch eine von den seligen Göttinnen war, die sich zu ihm herabgeneigt hatte und die er deshalb jeden Augenblick verlieren konnte. Was konnte er ihr bieten, um sie festzuhalten? Er hatte ihr auf ihre bescheidene Frage bisher noch nicht einmal geantwortet. Sollte er jetzt antworten?
Mitten in eine Gesprächspause hinein sagte er wie zu sich selbst:
„Ich habe in den letzten vier Tagen derart Neues gefunden, dass ich selbst erschüttert bin. Über die Beziehungen in der Wirklichkeit bin ich erschüttert. Über die Geheimnisse des Regelmäßigen und des Unregelmäßigen. Du wirst mit mir zufrieden sein, Aletheia.“
Wieder fühlte er einen schnellen, pressenden Druck ihrer glatten, trockenen Hand. Dann lachte sie hell und wohlklingend. Mit einem kleinen Unterton von Spott sogar.
„Zufrieden?“ Sie dehnte das Wort. „Wann ist die Wirklichkeit jemals zufrieden? Nein, nicht böse sein, Archimedes! Du hast recht. Anstatt, dass ein dummes milesisches Mädchen darüber jubelt, wenn ihr einer der größten Hellenen das Geschenk ungeheurer Entdekkungen zu Füßen legt und dabei nicht mehr will als Zufriedenheit, lacht dieses alberne Geschöpf und verstimmt ihn. Ich hoffe trotzdem, den erzürnten Gott wieder versöhnen zu können.“ Und sie sah ihn dabei mit solch kindlich treuen Augen an, dass er überzeugt sein musste, sie habe plötzlich wirklich Reichtum, Glanz, Schönheit und alles, was ihre Macht bildete, vergessen und werte ihre Stellung nur mehr im geistigen Kosmos.
Sie sprachen nicht weiter. Denn vor ihnen begannen Lichter aufzutauchen, die den Kanal gewaltig überhöhten, und es zeichneten sich stets deutlicher hohe Obelisken, Pylonen und Fassaden ab, über deren Glätte der Schein von Fackeln und Leuchtpfannen irrlichterte und starre bunte Hieroglyphen hervortreten ließ.
Die Deltastadt Canopus, in die sie kurz darauf einliefen, übertraf Alexandria womöglich noch an Trubel und Lärm. Irgendeine verschämte Schamlosigkeit oder schamlose Verschämtheit trieb die Alexandriner, in diesen Ort hinüberzufahren und hier in zahllosen Schenken, Tanzstätten und Herbergshäusern all die Zügellosigkeiten auszuführen, zu denen man in Alexandria selbst nicht den Mut oder die Atmosphäre fand. Die Sinnlosigkeit dieses Gehabens fühlte niemand, wo man doch hier gerade die Menschen traf, denen man nicht begegnen hatte wollen und die man in Alexandria sicherer vermieden hätte als in Canopus.
Vielleicht waren es auch die Tempel, die Buntheit und Kleinheit der Stadt, die Fahrt durch die Dickichte und Kanäle und die Lust an Abwechslung, die solche Erscheinungen erzeugten.
Archimedes überlegte dies alles und empfand leise Angst, dass seine Gastgeberin ihn in solch eine Gaststätte führen könnte, aus deren grellbeleuchteten Fenstern allzu geballtes Leben und wirrer Lärm herausdrang. Aletheia aber schien seine Zweifel zu bemerken, denn sie sagte freundlich:
„Ich will dir hier bloß etwas zeigen, um dann besser ausdrücken zu können, was ich meine. Es ist eine ägytische Orakelstätte sonderbarer Art, zu der nur Eingeweihte Zutritt haben. Worin die Weihe besteht, wirst du später erfahren.“
Eine halbe Stunde danach standen sie vor den Pylonen eines kleinen Tempels. Er lag abseits vom Lärm und war nur spärlich erleuchtet. Aletheia hatte Archimedes, wie seinerzeit durch Alexandria, so auch durch Canopus geführt. Kalt, überlegen und beschützend.
Sie wechselte mit den Pförtnern einige Worte, die Archimedes nicht verstand, da sie anscheinend ägyptisch waren. Das Tor öffnete sich, und man geleitete sie durch den Tempelhof. Dann ging es durch eine seitliche Türe über zahllose Treppentsufen hinab, bis sie in einem mächtigen unterirdischen Raum standen, dessen Hintergrund durch einen Vorhang verdeckt war.
Archimedes war erstaunt. Was bereitete sich hier vor? Die Wände des Raumes glitzerten in polierter Glätte und waren durch keinerlei Relief oder Malerei imstande, dem Auge einen Ruhepunkt zu bieten. Auch der Vorhang war glatt und einfarbig blau.
Ihr Begleiter, ein ägyptischer Priester niederen Ranges, stand maskenstarr neben ihnen und schwang, ohne dass man seine Bewegung merkte, ein Weihrauchfass, das betäubende Dämpfe und Schwaden durch den Raum sandte. Als diese Dämpfe die klare Sicht abzuschatten begannen, öffnete sich plötzlich der Vorhang und gab den Blick auf ein Bild frei, von dem man im ersten Augenblick nicht sagen konnte, ob es Wirklichkeit, Malerei, Skulptur oder Sinnentrug war.