Curso de alemán nivel medio con audio/Lección 143c

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Geschichte der Mathematik (Teil 43)


Wir wollen aber nicht vorgreifen, sondern von Poncelet selbst hören, wie er seine Aufgabe auffaßte. „Betrachten wir“, sagt er, „irgendeine Figur in einer allgemeinen, in gewissem Sinne unbestimmten Lage, wie die Figur sie einnehmen kann, ohne die Gesetze, die Bedingungen, die Verbindungen zu verletzen, die zwischen den verschiedenen Teilen des Systems bestehen (das durch die Figur ihrer Definition gemäß gegeben ist); nehmen wir an, daß wir bei diesen Angaben eine oder mehrere Beziehungen oder Eigenschaften der Figur, gleichviel ob metrische oder projektive, gefunden haben. Wenn man nun bei denselben Angaben die ursprüngliche Figur beliebig wenig verändert, oder, wenn man für gewisse Teile dieser Figur eine stetige, sonst aber beliebige Bewegung zuläßt, ist es dann nicht ganz klar, daß dieselben Eigenschaften und Beziehungen, die für das erste System galten, auch für die verschiedenen, aus dem gegebenen System in dieser Weise hervorgehenden neuen Systeme anwendbar bleibenfil“
Mit diesen Worten ist unzweideutig eine „Geometrie der Lage“ gefordert, wie sie schon einem Leibniz vorschwebte. Das Maß und die Figur verschwinden aus der Geometrie und zurück bleiben schattenhafte „Beziehungen“ und „Eigenschaften“, die einzeln oder in ganzen Gruppen gegen jede Verzerrung oder Veränderung des „Systems“ unempfindlich sind. Derartige Lagesätze hatten schon, wie erwähnt, Desargues und Pascal gefunden, auch Leibniz und Euler hatten hierzu Beiträge geleistet, wie etwa den berühmten Eulerschen Polyeder-Satz, der einfach als: „Ecken plus Flächen ist gleich Kanten plus zwei“ formuliert werden kann und für alle Vielflache mit Ausnahme besonderer, in der gewöhnlichen Geometrie kaum vorkommenden Fälle gilt. Auch der Franzose Carnot hatte schon eine Einteilung der Figuren gegeben, die den bisherigen geometrischen Gebilden ein System „vollständiger“ Figuren gegenüberstellte und diese Figuren kombinatorisch erfaßte. Vier Punkte etwa bilden ein vollständiges Viereck, wenn alle Geraden gezogen werden, die durch diese Punkte laufen können. Dieses vollständige Viereck hat 4 Eckpunkte und Seiten, also 6 Seiten. Vier Gerade dagegen können einander in Punkten, also in 6 Punkten schneiden usw. Diese Art des Aufbaues aller Gebilde aus den Elementen Punkt, Gerade, Ebene usw. ist eine synthetische. Daher man auch die projektive Geometrie oft als die synthetische bezeichnet. Man wollte, und dies der tiefste Grund ihrer Schöpfung, der allgewaltigen analytischen Geometrie und der Algebraisierung und Algorithmisierung der ganzen Mathematik dadurch ein Paroli bieten, daß man auch der Geometrie den Vorteil des Algorithmus einverleibte. Man wollte in kühnstem Ansturm der Geometrie wieder ihren allbeherrschenden Platz verschaffen, geriet dabei tatsächlich in eine neue Welt von Wundern und Erleuchtungen, bis schließlich - fast eine Tragikomödie - die „Neue Geometrie“ ihre geometrischen Hüllen abzustreifen begann und heute beinahe unbedingt die Züge einer gelauterten Algebra tragt. Inzwischen gingen viele Lullische Träume in Erfüllung, deren schönsten das „Dualitätsprinzip“ bildete, das Poncelet entdeckte und im Jahre 1822 veröffentlichte. Wenige Jahre später wurde es, unabhängig von Poncelet, durch Gergonne aufgefunden und publiziert.
Dieses zauberhafte Prinzip, von dem wir eine verblüffende Probe geben werden, gestattet es, durch bloße Umbenennung bzw. Vertauschung von Begriffen neue geometrische Sätze zu finden. Man braucht etwa bloß die Begriffe „schneiden“ und „verbinden“, „Punkt“ und „Gerade“ zu vertauschen, um zu neuer Erkenntnis zu gelangen. Weiß man, daß in einer Ebene zwei „Gerade“ einander in einem „Punkt“ „schneiden“, dann weiß man sofort durch Übersetzung dieser Wahrheit in die „duale“ Sprache, daß in einer Ebene zwei „Punkte“ durch eine „Gerade“ „verbunden“ werden. Bei solch einfachen geometrischen Tatsachen ist das Wirken des Dualitätsprinzips anscheinend selbstverständlich und nicht allzu erschütternd. Wie sehr jedoch dieser Schein trügt, mag dadurch illustriert werden, daß Pascal im Jahre 1640 seinen berühmten Sechsecksatz entdeckte, zu dem Brianchon erst 1806, also volle 166 Jahre später, den „dualen“ Satz fand. Hätte Pascal bereits das Dualitätsprinzip gekannt, dann hatten sich diese 166 Jahre auf zwei Minuten verkürzen lassen.
Die spezielle Form des „Pascalsatzes“, die wir für unseren Zweck benötigen, ist folgende:
Wir hatten zwei einander schneidende Gerade (wozu nach unseren Feststellungenüber unendlichferne Punkte auch Parallele zu rechnen sind). Die Geraden heißen und . Auf der Geraden liegen drei vollkommen willkürliche Punkte , und . Und auf der Geraden die drei ebenfalls willkürlichen Punkte , und . Nun „verbinden“ wir mit und mit und bringen diese beiden Verbindungslinien zum Schnitt.
Fig. 9

Es entsteht dadurch der Punkt . Dann verbinden wir mit und mit , wodurch der Schnittpunkt entsteht.
Wenn wir schließlich noch mit und mit verbinden und aus diesen beiden Verbindungslinien den Schnittpunkt gewinnen, dann werden wir zu unserer Überraschung bemerken, daß die drei gewonnenen Schnittpunkte , , und , auf einer Geraden liegen.
Es sei hier beigefügt, daß bei der praktischen Durchführung solcher Aufgaben in einer Zeichnung eine gewisse Übersicht und Routine notwendig ist. Gewiß, der Satz muß unter allen Umständen gelten. Aber praktisch kann es vorkommen, wenn ich die Punkte ungeschickt wähle, daß mir zur Gewinnung der Schnittpunkte die Zeichenfläche nicht ausreicht und dadurch die Zeichnung höchst unübersichtlich wird. Dies hat man auch manchmal gegen die projektive Geometrie ins Treffen geführt und gesagt, diese Geometrie mache ruhig die Voraussetzung, daß jeder „Schnitt“ auch wirklich durchgeführt werden könne, wobei man unter „wirklich“ wohl die zeichnerische Möglichkeit zu verstehen hat. Wenn ich aber Linien ziehen muß, die etwa erst nach 150 m den erforderlichen Schnittpunkt liefern, kann ich solche Konstruktionen nicht gut für die Praxis brauchen.
Wir wollen uns aber jetzt durch diese an sich nicht unberechtigte Kritik nicht abschrecken lassen und auch unsere Bewunderung nicht verkleinern, wenn wir schon in den nächsten Minuten das Dualitätsprinzip gleichsam die Kluft von 166 Jahren werden überspringen sehen. Wir müssen zu diesem Behufe nur die Begriffe „verbinden“ und „schneiden“ und die Begriffe „Punkt“ und „Gerade“ vertauschen, um sofort zum Pascalschen Satz den „dualen“ Satz, den Satz von Brianchon, aussprechen zu können. Theoretisieren wir nicht lange, sondern machen wir einfach die praktische Probe.
Unser neuer Satz müßte lauten: Wir haben zwei Punkte und . Denn beim „Pascal“ hatten wir zwei Gerade und . Die Geraden beim „Pascal“ „verbanden“ je drei „Punkte“ , und bzw. , , . Deshalb müssen wir jetzt die Worte Pascals in die Sprache Brianchons übersetzen. Also in unseren zwei „Punkten“ und „schneiden“ einander je drei „Gerade“ , , und , , . Nun müssen wir weiter forschen. Beim „Pascal“ haben wir die drei „Punkte“ „verbunden“.
Also müssen wir beim „Bríanchon“ die drei „Geraden“ paarweise zum „Schnitt“ bringen, und zwar nach demselben System wie beim „Pascal“. Also mit , mit , mit , mit und schließlich mit und mit .
Dadurch aber haben wir erst die duale Konstruktion zu den Verbindungslinien beim „Pascal“ durchgeführt. Was haben wir beim „Pascal“ weiter gemacht? Nun, wir haben „Verbindungsgerade“ zum „Schnitt“ gebracht. Was müssen wir also beim „Bríanchon“ machen? Wohl „Schnittpunkte“ „verbinden“. Nun ergibt die Verbindung der Schnittpunkte der Geraden mit und mit die Gerade . Die Schnittpunkte der Geraden mit und mit ergeben die Gerade .
Und die Schnittpunkte der Geraden mit und mit liefern schließlich die Verbindungsgerade . Wir haben also konsequent und streng dual, nur einem Spiel der Gedanken folgend, statt der drei „Schnittpunkte“ , und , des „Pascal“, drei „Verbindungsgerade“ , und des „Brianchon“ gewonnen. Nun können wir die letzte Folgerung auf Grund des Dualitätsprinzips ziehen.
Fig. 10

Wenn nämlich beim „Pascal“ die drei „Schnittpunkte“ auf einer und derselben „Geraden“ liegen müssen, dann müssen wohl die drei „Verbindungsgeraden“ des „Brianchon“ durch einen und denselben „Schnittpunkt“ gehen. Und in der Tat: Wir zeichnen die Figur und überzeugen uns mit staunender Verwunderung von der unfehlbaren Sicherheit unsrer neugewonnenen Denkmaschine.
Nun ist dieses Dualitätsprinzip noch viel großartiger, als wir es in diesem Falle zeigen konnten. Denn nicht nur „Punkt“ und „Gerade“ sind einander in der Ebene dual verkoppelt. Unsere Zaubermaschine erstreckt sich noch viel Weiter, wovon wir sofort einige Beispiele geben werden. So lautet etwa einer der Hauptsätze der Dualitätstheorie folgendermaßen: „Jede ebene Figur ist ein Schnitt einer zentrischen Figur und jede zentrische Figur ist der Schein einer ebenen Figur.“ Wir müssen diesen sehr präzise formulierten Satz ein wenig sinnfälliger machen. Er besagt nicht mehr und nicht weniger, als daß einander die Ebene und das Strahlenbündel gegenseitig „dual“ entsprechen. Das aber ist eine der Grundwahrheiten, der tiefsten Urgründe der ganzen Geometrie des Auges. Denn der Strahlenkegel unseres Auges (zentrisches Bündel) kommt gleichsam überall, wohin er trifft, zum „Schnitt“ mit einer Ebene, mit der auf eine Ebene bezogenen Welt. Und wenn ich jetzt die Richtung von dieser „AbbildWelt“, dieser „Schnittebene“ wieder zurück ins Auge wähle, dann ist der zentrische Strahlenkegel, das „Bündel“, eben nichts anderes als der „Schein“ dieser Welt, die Projektion der „Abbildwelt“ in mein Auge. Hinter dem Schnittpunkt der Sehstrahlen innerhalb des Auges aber spielt sich der „duale“ Vorgang noch einmal ab. Denn jetzt ist das Netzhautbild an der Rückwand des Auges der Schnitt mit dem Strahlenbündel und das Strahlenbündel selbst nichts als der Schein der Schnittpunkte.